Die Hure und der Henker
selbst sein Bier zum Fenster hinaus auf die Straße reichte.
»Und wie
heißt Euer neues Patenkind?«
»Peter.«
»Und das
wievielte Kind ist es?«
Valentin
meinte damals die Zahl der Patenkinder, nicht die von des Henkers
Nachkommenschaft.
Sie saßen an
dem großen ovalen Tisch. Judith hatte den Staub von der Flasche gewischt. Sie
war schwer zu entkorken gewesen. Erst als Valentin sich vorstellte, dem
Professor Wiegend in Leipzig einen Weisheitszahn zu ziehen, schaffte er es.
Nun
spiegelten sich fünf Kerzenflammen in ihrem dunkelgrünen Glas.
»Das wievielte? Oh, wartet…
Rudloff hat viele…« Sie nahm die Finger zu Hilfe: »Max, Grete, Gertrud, Lina,
Heinz, Otto, Friedrich…«
Sie stellte
sich den Steg vor, der die Insel, auf welcher der Scharfrichter wohnte, mit der
Mühlenstraße verband. Dort hatte sie seine Kinder gesehen. Sie mussten immer
Aufstellung nehmen, wenn der Rat dem Scharfrichter die weißen Handschuhe
überreichte, die er ihm außer Lohn und Patenschaften einmal jährlich schuldig
war.
Dann standen
die Kinder rechts und links vom Steg aufgereiht, überaus kräftig, rotbäckig,
gesund, am Ufer der Dömnitz aufgereiht standen sie, damit eine jede Ratsperson
ihr Patenkind fand, und der Vater nannte alljährlich die Namen.
»… also nach
Heinz und Otto kam Friedrich, dann stand da…«
Valentin
sagte nicht, dass er nicht das soundsovielte Henkerskind, sondern der
Patenkinder Gesamtzahl meinte.
Er hob sein
Glas und sagte: »Es gibt ja auch nicht jeden Tag eine Hinrichtung. Was soll
Rudloff sonst auch tun als Kinder machen.«
Auch Judith hob ihr Glas:
»Stimmt.«
Vorsichtig
stellte sie es wieder auf den mit Intarsien geschmückten Tisch. Sie hatte sich
zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Dort, wo ihr Knie war,
schimmerte der apfelgrüne Stoff.
»Er darf
nicht ›zu Heiden und Weiden/zu Gräben und wo sonst Fische leben/zu Kellern,
Krügen und Schenken/die Schritte hinlenken‹«, sagte sie und lächelte.
»Ihr kennt den Amtseid des
Scharfrichters?«
»Ich kenn
noch viel mehr.«
Aber nicht
alles, wie sich dann zeigte. Denn entweder vermittelten Leipziger
Lustlehrerinnen, besonders wenn sie auch noch Magdalena hießen, einen ganz
besonderen Lehrstoff, oder es gab von Natur aus Unterschiede oder jemanden,
dessen Geist sich nicht einengen ließ, beschwingt die Fantasie auch auf
rotweißem Faulbett. Jedenfalls kannte Judith das Folgende nicht.
Sie wusste
noch sehr genau, dass sie besser nicht hätte nach oben und in die Bibliothek
und in den Nebenraum gehen, dass sie besser nicht hätte auf ihrem Faulbett
liegen sollen, wo eine Hand ihr apfelgrünes Kleid höher und immer höher schob.
Dass sie besser nicht hätte wissen wollen sollen, ob es eigentlich noch unter
oder auf oder doch schon oberhalb des Knies war und warum es eigentlich
verboten war, so friedlich beieinanderzuliegen.
»Aber jetzt muss ich ins
Bett. Ich habe zu viel getrunken.« Sie wollte sich aufrichten.
Valentin
drückte sie nieder. »Ja eben, bleibt lieber noch ein bisschen liegen.«
Oder sie
hatte nicht zu viel getrunken, sondern nur zu wenig vom Kleidschieben. Ein
bisschen noch. »Und jetzt zieht Ihr das wieder herunter.«
»O ja, und ein bisschen auch
wieder herauf.«
Wenn das nur
nicht so viel bewirkte!
Sie musste
dem ein Ende machen, dem ein entschlossenes Nein entgegensetzen, diesem
glühenden Punkt in ihr vor allem, und sich dann eben darauf verlassen, dass
Valentin, der ja anständig war, das wusste sie, nie mehr darauf zurückkam.
Allerdings kam diese Hand dann auch nicht zurück. Doch, sie kam. Und ging
wieder. Und war wieder da. Wie viele Hände hatte der eigentlich? Oder war das
jetzt nicht mehr die Hand?
»Schscht. Nur
einmal.«
Mann, war das
schön!
Das kannte sie allerdings
nicht, dass es schön war. So schön.
So sehr schön. Und nicht bloß
ganz am Anfang wie bei Kober, sondern immer noch – und noch – und noch – und Hilfe,
ich muss aufstehen, ich muss jetzt – und jetzt – der hat gut reden,
stillhalten, ich kann nicht stillhalten, ich kann nicht – ich kann…
Und dann konnte sie etwas,
das sie bei Kober nicht konnte.
Und das,
diesen Pauken-, diesen Donner-, diesen Blitzschlag, kannte sie vordem nicht.
Mit einem
Schlag war damals ihr Verständnis für gewisse leichtsinnige Jungfern und
liederliche Frauenzimmer gewachsen. Und von wegen: nur einmal!
Am nächsten
Tag warteten sie ungeduldig auf Elsbeths Rückzug, die ausgerechnet an diesem
Abend in
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