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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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rechts, wo sich
Vyfken erhoben hatte und ihm schon winkte. Er sah euch von hinten. Das
Eingangslied. Das Sündenbekenntnis. Diese Ehe ist eine Sünde, Mann und Frau
sollen ein Fleisch sein und nicht ein Geld.
    Und Ende Januar, als der
Schnee taute, schoben die Marktkehrer nasskalten Mist durch die Straßen, denn
die mussten sauber sein, wenn der Ratsdiener ritt. Der Ratsdiener ritt auf
einem Wallach, der von selbst an jeder Straßenecke stehen blieb, wo die
Botschaft verlesen wurde: »An alle Bürger unserer Stadt Pritzwalk!«, denn es
war wieder Ratswahl.
    Ihr saht am Donnerstag nach
Pauli Bekehrung die Straßen sich füllen. Ihr saht die Bürger strömen, saht,
dass Kober den rostroten Mantel trug, den er sich eigens für diesen Tag hatte
anfertigen lassen.
    Aber ihr saht auch in
Valentins Buch von der »Generalreformation der ganzen weiten Welt«, und der
Gedanke, dass es bei dem Menschen, der »seinen Adel und seine Herrlichkeit«
verstehen sollte, auch um die Frau gehe. »Aber natürlich«, sagte Valentin, »so,
wie es im allerersten Kapitel der Bibel in Vers 27 heißt«, der Gedanke gefiel
dir.
     
     
    Nein, man verliebt sich nicht
in Augen und Haar. Nicht in das Rauschen von Röcken. Nicht in die Tritte von
Schuhen. Man verliebt sich überhaupt nicht in das, was da ist. Man verliebt
sich in das, was da sein sollte.
    Es sollte
jemand da sein, der einen erkannte. Nicht nur wie Kober, im Ehebett, was ja
auch, wie du bald fandest, eher ein Verkennen war. Sondern es sollte jemand da
sein, der wusste, dass auch du noch mehr weißt, als bloß Heilkräuter, Gewürze
und Fleischsorten voneinander zu unterscheiden. Dass du noch mehr konntest, als
Vorhänge anzubringen, Gurken einzulegen und freundliche Redensarten zu machen
wie »Ja, natürlich, Wiemännin, da habt Ihr recht«, noch mehr, als mit Baltzer
laufen zu üben, ihn umherzutragen, ihn zu verstehen, »Äuß! Äuß!« – »Ja,
Baltzer, da war ein Geräusch«, oder Robert zu beschützen oder Simon scharf
anzufahren, der erschrocken seinen Finger aus dem Pflaumenmus nahm. Dass du
gern noch mehr geäußert hättest als Beifall. Gern noch mehr getan hättest, als
den Kleinen mit Schneeglöckchen in der Faust seinem Vater in der Diele
entgegenzuschicken. »Siehst du, da kommt der Papa. Der Papa ist Ratsherr. Geh
mal zum Papa, Baltzer. Schenk ihm die Blümchen.«
     
     
    Gern hast du
damals gehört, dass deine Welt größer ist als das Haus. Deine Seele Teil einer
größeren. Dass deine Kraft zunimmt, wenn du mit dir übereinstimmst.
    Gern hast du
gesehen, dass deine Freundin Benígna dich nachdenklich ansah, wenn du an sie
weiterreichtest, was du erfuhrst: Man kann die Macht, die man anderen über sich
eingeräumt hat, ihnen auch wieder entziehen.
    »Mensch,
Benígna, was geht dich das Urteil der Neufeld an!«
    Oder etwa nicht? Hast du etwa nicht gern gehört, was Valentin dir von den Rosenkreuzern erzählte? Dass
diese geheime Bruderschaft, die man nicht finden, von der man aber gefunden
werden könne, ihn schon gefunden habe? Was er dir von den Brüdern erzählte, die
es überall gab. »In jedem Land, in jedem Volk, in jeder Zeit hat Gott die
Seinen«, las er dir vor und hielt es für bedeutsam, dass der Verfasser dieser
Zeilen ebenfalls Valentin hieß: Valentin Weigel.
    Es seien
Menschen, sagte er, die einander erkennen, wenn sie einander begegnen – daran
zum Beispiel, dass sie nicht Nachmacher, sondern Vordenker seien. Und es würden
von Jahr zu Jahr mehr, sagte er. »Europa ist schwanger und wird ein starkes
Kind gebären. « Er zeigte dir diese Stelle in seinem Buch.
    Und du warst auch schwanger,
wenn auch nur acht Wochen lang, schätztest du, und dann lagst du schwach und
traurig im Bett und hattest nicht einmal frische Petersilie, um den Blutverlust
abzugleichen, und Kober war in Berlin, aber Valentin schickte Elsbeth mit
Büchern zu dir.
    »Der Mensch ist ein
Mikrokosmos, Judith. Mikro- und Makrokosmos spiegeln einander. Das Kräftespiel,
das Ihr im Großen vorfindet, gibt es genauso in Euch.«
    Allerdings.
Das schien dir auch so.
    Es ist
zwanzig Jahre her, aber das wusste Valentin gestern Abend noch: Die Kräfte in
dir waren gleich stark.
     
     
    Nein, trotz
der Nachrichten, die Kober damals aus Berlin mitbrachte und die dem Rat
unbedingt noch am selben Abend mitgeteilt werden mussten, saht und hörtet ihr
damals nichts. Der rothaarige Simon und Anton, die du schon in den
wohlverdienten Feierabend geschickt hattest, und selbst Valentin und Ulla
wurden

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