Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
da. Wer, wenn nicht Gott, könnte das so eingerichtet haben?«
Sandro war sich da weit weniger sicher als seine Mutter. Er hatte zwar nach seinem Eintritt in den Orden die Oberflächlichkeit verloren, die sein Hauptwesenszug gewesen war, aber auch das Selbstvertrauen und die Leichtigkeit eingebüßt, die er heute manchmal vermisste. Früher waren ihm Entscheidungen um einiges leichter gefallen. Und was seine Aufgabe anging: Ob Gott es so eingerichtet hatte, dass er heute den Mörder der Konkubine seines irdischen Stellvertreters jagte, wagte er zu bezweifeln.
»Ich pflege die Kranken in meiner freien Zeit, Mutter. In der Hauptsache bin ich Visitator des Papstes.«
Ihre Hände lösten sich langsam, fast unmerklich, von den seinen. »Ja«, sagte sie, und ihre Stimme gewann an Festigkeit. »Ich hörte davon. Eine unerquickliche Aufgabe, die man dir da gegeben hat. Ich dachte, Jesuiten ist es nicht gestattet, Ämter und Würden zu übernehmen.«
»Der Papst hat bei unserem Ordensgründer Ignatius von Loyola eine Ausnahme für mich erwirkt. Das Amt ist mir ohne eigenes Zutun in den Schoß gefallen, aber ich bin an der Aufgabe gewachsen. Wir Jesuiten sind dafür bekannt, dass wir unser eigenes Innerstes erforschen, und ich habe diese Berufung auf die Geheimnisse anderer ausgedehnt.«
Er zwinkerte ihr aufmunternd zu, um anzudeuten, dass er einen kleinen Scherz gemacht habe, doch sie gab keine Ruhe. »Dieses Amt ist nicht gut, Sandro. Es ist einfach nicht – einfach nicht fromm. Verbrecher sollten von der Polizei gejagt werden, nicht von Geistlichen. Versuche, so schnell wie möglich wieder zu dem zurückzukehren, was dir bestimmt ist.«
Sandro verzichtete darauf, seiner Mutter zu erklären, dass sie unmöglich wissen könne, was ihm bestimmt sei.
Sie ergriff erneut seine Hände, diesmal inniger und fester. »Du wirst doch in jedem Fall Jesuit bleiben, oder?«
»Ich sehe keinen Grund, den Orden zu wechseln.«
»Gut. Ich – ich fände es schlimm, wenn du einer von denen würdest, die nur in einen Orden eintreten, um in der Heiligen Kirche Karriere zu machen. Ich habe kein Vertrauen mehr in unsere geistliche Obrigkeit, die nur noch ihrem Vergnügen frönt. Bleibe ein Diener der Armen, Sandro, das gefällt Gott. Mit dem Aufstieg kommt die Sünde, und mit der Sünde das Böse.«
Sandro spürte das Vibrieren ihrer Hände, so als stünde das Böse bereits vor der Tür und klopfe an. Seine Mutter war immer schon fromm gewesen. Aber ihre Frömmigkeit hatte sich in den letzten Jahren offensichtlich vergrößert, und Sandro begriff, dass die Lücke, die er – wie sie sich ausgedrückt hatte – nach seinem Fortgang in ihrem Herzen hinterlassen hatte, vollständig vom Glauben ausgefüllt worden war.
»Wir haben noch gar nicht über dich gesprochen«, sagte er.
»Oh, über mich...« Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und ging langsam zum Fenster, wo sie von einem Schwall goldenen Sonnenlichts überflutet wurde, das ihrem runden Gesicht etwas unendlich Mildes verlieh. Von dort, wo sie stand, sah sie auf die kleine Kapelle auf der anderen Straßenseite. Ihre Hände nestelten am Abbild der Madonna an ihrer Kette
herum. »Du siehst ja an diesem protzigen Palazzo, was dein Vater anstellt. Er häuft Geld an, mehr Geld und immer noch mehr Geld. Ihm geht es allein um den eigenen Profit, andere Menschen interessieren ihn nur noch insofern, als er sich überlegt, wie er sie benutzen kann.«
Sie ging auf und ab, und immer dann, wenn sie aus der goldenen Helligkeit der Fenster in den Schatten des Zimmers eintauchte, verlor ihr Gesicht die Milde und brachte etwas anderes zum Vorschein: Abscheu.
»Alfonso berauscht sich an seiner Verschlagenheit, und weil Verschlagene jemanden brauchen, der sie bewundert, zieht er sich seinen Nachwuchs heran.«
»Du sprichst von Ranuccio Farnese, seinem künftigen Schwiegersohn.«
»Ranuccio ist leichtlebig, herrisch und geldgierig, ich kann ihn nicht ausstehen.« Sie blieb stehen und errötete, sei es, weil sie kurz die Beherrschung verloren hatte, sei es, weil sie sich schämte, das Folgende zu gestehen: »Im Grunde war er es, der mich dazu brachte, dir nie zu schreiben, dich nie hierher einzuladen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich fürchtete, wenn du erkennen würdest, dass dein Vater Ranuccio zu seinem Nachfolger aufbaut, könntest du eifersüchtig werden und den Orden wieder verlassen, um deinen Platz als Erbe einzunehmen. Das darf nicht geschehen. Ich will nicht, dass du wirst wie
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