Die Hurenkönigin (German Edition)
sie polternd ihren Stuhl umriss und auf die beiden zustürzte. »Wie war das noch mal, was du zu Rosi in der Mainacht gesagt hast?«
»Was meint Ihr denn?«, fragte Johannes heiser und wich panisch vor ihr zurück.
Ursel wandte sich an den Frauenhausknecht. »Sag du es, Josef.«
Der Hüne besann sich einen Augenblick, ehe er zur Antwort gab: »Dass sie es als Barmherzigkeit ansehen, Leuten, die schon am Boden liegen, noch einen Tritt zu verpassen …« Er trat drohend auf Johannes zu und packte ihn an den Schultern. »So was Ähnliches hast du doch zu Rosi gesagt, du kleiner Mistkerl! Oder weißt du das nicht mehr?«
»Doch«, erwiderte Johannes zerknirscht. »Aber deswegen haben wir sie doch nicht gefoltert oder umgebracht! – Bitte, lasst mich doch erklären! So lauten unsere Gebote: Als Werke der Barmherzigkeit werden erachtet, dem Armen Speise und Trank zu verweigern, dem Fremdling kein Obdach zu gewähren, den Schwachen im Stich zu lassen«, deklamierte er hektisch. »Zank und Irrtümer auszusäen und die in Sünde Gefallenen noch tiefer fallen zu lassen! – Das habe ich damals mit meinem Ausspruch gemeint, und nichts anderes. Alle Tugenden gelten den Satanisten als Laster, alle Laster als Tugenden. Das ist die verkehrte Welt. – Ich gebe ja zu, das klingt frevelhaft und blasphemisch …«
»Was du nicht sagst!«, raunzte die Zimmerin verächtlich. »Und jetzt haut endlich ab, ich kann euren Anblick nicht mehr länger ertragen!«
»Ihr … Ihr lasst uns gehen?«, fragte der Jüngling verblüfft.
Die Hurenkönigin schnaubte entnervt. »Soll ich es noch mal sagen?« Sie war erschöpft und hatte endgültig genug von diesen Grünschnäbeln und ihrem haarsträubenden Teufelskult, der nichts anderes war als bloße Staffage.
»Und … was ist mit der Anzeige?«, erkundigte sich Johannes angespannt.
»Das überlege ich mir noch«, erwiderte die Gildemeisterin barsch. »Ich habe ja eure Namen und weiß, wo ihr wohnt. Und seid gewiss: Ich werde weiterhin ein wachsames Auge auf euch haben. Und wenn ich nur einmal mitkriege, dass ihr Leute schikaniert oder Tiere quält, dann seid ihr dran, das verspreche ich euch! So, und jetzt verzieht euch endlich!«
Die jungen Leute erhoben sich und schlichen mit gesenkten Köpfen aus der Stube.
Josef konnte sich ein hämisches Gelächter nicht verkneifen. »Das geschieht ihnen recht, diesen missratenen Gören. Aber dass Ihr sie einfach so laufenlasst?« Der Hüne runzelte skeptisch die Stirn. »Die haben doch genug angerichtet, ein paar Tage Kerker hätte denen nichts geschadet.«
»Das stimmt. Aber dabei würde es nicht bleiben. Wenn ruchbar wird, was sie treiben, dann landen sie auf dem Scheiterhaufen. Für Teufelsspielchen haben die Inquisitoren wenig Verständnis. Wenn die nur das Wort ›Teufelsanbeter‹ hören, wetzen sie doch schon die Messer. Und auch wenn mir diese Laffen absolut zuwider sind, den Feuertod wünsche ich ihnen nicht. Das sind ja fast noch Kinder.« Die Zimmerin schüttelte unmutig den Kopf.
»Kinder? Bösartige Bälger sind das!«, erwiderte Josef erbost. »Und Ihr glaubt nicht, dass sie etwas mit Rosis Tod zu tun haben?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Ursel nachdenklich. »Das sind verwöhnte Kinder reicher Leute, die makabre, grausame Spiele treiben. Aber ich glaube nicht, dass sie zu so einer Gräueltat fähig sind, wie sie an Rosi begangen wurde. Diese Satansjünger geben sich doch nur den Anschein, böse zu sein. Und genau das ist der Unterschied: Rosis Mörder ist es.«
7
Mittwoch, 27. Juli 1511
Ursel Zimmer öffnete das Gartentor und betrat das kleine Rosengärtchen, das sich auf einem dreieckigen Landstück zwischen Frauenhaus und Stadtmauer befand. Es war ein herrlicher Sommermorgen mit einem tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Die von der Hurenkönigin liebevoll gehegten Rosen prangten in leuchtenden Farben und verströmten einen wonnigen Duft, der eine Vielzahl von Bienen und Schmetterlingen anlockte. Ursel liebte den kleinen Garten und genoss es, hier zu verweilen und ihn sorgfältig zu pflegen. Auch an diesem Morgen hatte sie einen Korb und eine Schere dabei, um die verblühten Rosen abzuschneiden, deren Blütenblätter sie gerne auf den Tischen des Schankraums verstreute oder dem Badewasser beifügte.
Nach getaner Arbeit blickte sie sich im Gärtchen um und begann damit, die prachtvollsten Rosen abzuschneiden und sie oben auf den Korb zu legen. Ihr Herz war schwer dabei, denn für die elfte Stunde war
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