Die Hurenkönigin und der Venusorden
hüstelte Rack beklommen und hielt es für angemessen, sich wieder zu entfernen.
Um die fünfte Morgenstunde hatte sich Bernhards Zustand derart verschlechtert, dass Doktor Schütz der Hurenkönigin im ernsten Tonfall mitteilte, sie müsse nun mit dem Schlimmsten rechnen.
Ursel vergrub schluchzend ihr Gesicht in Bernhards Armbeuge. »Bitte verlass mich nicht, mein Liebster!«, flehte sie halb wahnsinnig vor Kummer. »Ich liebe dich doch so sehr!«
Der Arzt musterte sie mitleidig. »Recht so, Zimmerin, zeigt ihm nur Eure Liebe«, murmelte er. »Vielleicht holt ihn das ja wieder ins Leben zurück. Wenn die ärztliche Kunst schon längst versagt hat, kann die Liebe zuweilen noch Wunder bewirken.«
»Er darf nicht sterben!«, stieß die Hurenkönigin hervor und bedeckte die glühende Stirn des Sterbenden mit Küssen, während sie ihm zärtliche Worte ins Ohr raunte.
Doktor Schütz wies eine Siechenmagd an, dem Kranken frische Wadenwickel zu bereiten, um das Fieber zu senken. Dann schob er ihm unter Mithilfe der Hurenkönigin ein weiteres Kissen unter den Rücken, damit er leichter Luft bekam, und sagte zu Ursel: »Sein Atem ist nur noch ein schwaches Röcheln, Zimmerin. Die Agonie hat bereits eingesetzt. So leid es mir tut, Ihr werdet Abschied nehmen müssen …« Als Ursel in tiefer Verzweiflung aufschrie: »Nein, ich lasse ihn nicht gehen!«, hielt der Arzt kurz inne und fügte leise hinzu: »Ich lasse Euch jetzt mit ihm alleine und werde nach einem Priester schicken, der ihm die Letzte Ölung erteilt. Gibt es vielleicht sonst noch jemanden, der benachrichtigt werden sollte? Ich meine, seine Angehörigen oder andere, ihm nahestehende Menschen?«
Es dauerte lange, bis seine Frage zu Ursel durchdrang, die vor Schmerz keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Schließlich riss sie sich zusammen und richtete sich auf. »Den Kontakt zu seiner Familie hat Bernhard schon lange abgebrochen, weil sie alle gegen unsere Verbindung waren«, erwiderte sie. »Nur sein alter Oheim hat ihm immer die Treue gehalten. Ihm solltet Ihr unbedingt Bescheid geben. Pater Rufus im Dominikanerkloster … Vielleicht kann er ja Bernhard den letzten Segen geben.«
Nachdem Doktor Schütz sich entfernt hatte, schmiegte Ursel ihr Gesicht an Bernhards Hals und flüsterte in beruhigendem Singsang: »Wo immer du auch bist, mein Liebster, ich bin bei dir, und wohin du auch gehst, ich werde dich begleiten …«
In ihrem unsäglichen Leid hatte die Vorstellung, Bernhard in den Tod zu folgen, etwas Tröstliches für Ursel.
Unversehens kamen ihr die Worte der großen Göttin durch den Sinn, die Alma ihr aus dem Buch der Schatten vorgelesen hatte. Die Hurenkönigin kniete sich neben Bernhards Krankenlager, ergriff seine Hand und sprach sie wie ein Gebet: »Ich schenke das Wissen des ewigen Geistes, und jenseits des Todes gebe ich Frieden und Freiheit und vereine euch wieder mit denen, die vor euch gegangen sind …«
Für einen flüchtigen Moment kam es Ursel so vor, als stünde ihre verstorbene Freundin Ingrid neben ihr und streichele ihr sanft übers Haar. »Steh ihm bei, schlaue Grid!«, flüsterte Ursel ergriffen. »Lass ihn nicht über die Schwelle treten!«
»Dann musst du ihn am Leben halten«, vernahm Ursel eine innere Stimme.
Wie eine Traumwandlerin erhob sie sich und legte sich an Bernhards Seite. Liebevoll schmiegte sie sich an seinen vom Fieber geschüttelten Körper und legte behutsam den Arm um ihn.
»Schlaf dich gesund, mein Liebling«, raunte sie ihm zu und küsste zärtlich seine Wange.
Unversehens fühlte Ursel eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen und schlief ein.
Sie träumte davon, wie sie sich das erste Mal geliebt hatten, spürte Bernhards leidenschaftliche Küsse auf ihrem Körper, sog tief seinen Geruch ein und gab sich ihm mit Leib und Seele hin.
»So süß schmeckt also die Liebe!« , flüsterte sie mit grenzenlosem Staunen.
Pater Rufus musste sich auf den Bettschemel niederlassen, so sehr hatte ihn die Nachricht, dass sein Neffe im Sterben lag, mitgenommen. Als er jedoch Bernhard betrachtete, der in den Armen der schlafenden Hurenkönigin ruhig schlummerte, murmelte er, an den Arzt gewandt, erstaunt: »Er sieht eher aus wie ein Schlafender als ein Sterbender.«
Doktor Schütz, der die entspannten Gesichtszüge seines Patienten ebenfalls bemerkt hatte, runzelte verwundert die Stirn und erwiderte: »Stimmt. Es sieht sogar so aus, als würde er lächeln.« Er beugte sich sachte über den Kranken und lauschte
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