Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
er ihr zum ersten Mal die Hand schüttelte und dabei Obstsalat an ihrem Kleid hinuntergoß, wußte er, sein Leben würde für alle Zeiten leer sein, wenn er sie nicht heiratete.
Sie heirateten eine Woche nach Bekanntgabe von Sols Anstellung als Lehrer am College. Ihre Flitterwochen verbrachten sie auf Maui-Covenant, sein erster Farcasterausflug in die Ferne, wo sie drei Wochen eine bewegliche Insel mieteten und allein durch die Wunder des Äquatorialarchipels segelten. Sol vergaß die Bilder von diesen sonnigen und windigen Tagen niemals, und das Bild, das ihm stets am kostbarsten war, war Sarai, die nach einem nächtlichen Schwimmausflug nackt aus dem Wasser stieg, während über ihr die Sterne des Kerns gleißten und an ihrem Körper eigene Konstellationen der Phosphoreszenz im Kielwasser der Insel leuchteten.
Sie hatten sofort ein Kind gewollt, aber es vergingen fünf Jahre, bis die Natur mitspielte.
Sol erinnerte sich, wie er Sarai, die sich vor Schmerzen krümmte, in den Armen gehalten hatte – es war eine schwere Geburt –, bis Rachel Sarah Weintraub schließlich um 2:01 Uhr im Med Center von Crawford County zur Welt kam.
Die Anwesenheit des Kindes wirkte sich auf Sols abgeschiedenes Leben als ernster Akademiker und Sarais Beruf als Musikkritikerin der Datensphäre von Barnard aus, aber das kümmerte beide nicht. Die ersten Monate waren eine Mischung aus ständiger Erschöpfung und Freude. Spät in der Nacht, zwischen dem Füttern, schlich Sol auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer, um nach Rachels Befinden zu sehen und sie einfach nur zu betrachten. Häufig mußte er feststellen, daß Sarai schon da war, dann bewunderten sie beide Arm in Arm das Wunder eines Babys, das auf dem Bauch schlief, den Po in die Luft streckte und den Kopf ins Polster am Kopfende der Krippe gedrückt hatte.
Rachel war eines der seltenen Kinder, die es fertigbrachten, niedlich ohne wissentlich kokett zu sein; als sie zwei Standardjahre alt war, waren ihr Aussehen und ihre Persönlichkeit atemberaubend – das hellbraune Haar, die roten Wangen und das breite Lächeln ihrer Mutter, die großen braunen Augen ihres Vaters. Freunde sagten, daß das Kind die besten Teile von Sarais Empfindsamkeit und Sols Intellekt in sich vereinigte. Eine weitere Freundin, Kinderpsychologin am College, merkte einmal an, daß Rachel im Alter von fünf Jahren die zuverlässigsten Anzeichen wahrer Begabung bei einem Kind zeigte: gezielte Neugier, Mitgefühl für andere, Hingabe und einen nachdrücklichen Sinn für Fairness.
Eines Tages saß Sol Weintraub in seinem Büro, studierte uralte Archive von der Alten Erde und las über den Einfluß von Beatrice auf das Weltbild von Dante Alighieri, als ihm ein Absatz auffiel, den ein Kritiker im zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhundert geschrieben hatte:
Sie [Beatrice] allein war noch wirklich für ihn, bedeutete noch Sinn in der Welt, und Schönheit. Ihre Natur wurde zu seinem Anhaltspunkt – was Melville mit mehr Ernst, als wir heute aufbringen können, seinen Greenwich-Meridian genannt haben würde ...
Sol rief die Definition von Greenwich-Meridian ab, dann las er weiter. Der Kritiker fügte eine persönliche Anmerkung hinzu:
Ich hoffe, die meisten von uns haben ein Kind, einen geliebten Menschen oder eine Freundin wie Beatrice gehabt, deren scheinbar angeborene Güte und Intelligenz uns unsere Lügen unangenehm bewußt macht, wenn wir lügen.
Sol hatte den Monitor abgeschaltet und die schwarzen geometrischen Formen der Zweige über dem Platz betrachtet.
Rachel war unerträglich perfekt. Als sie fünf Standardjahre alt war, schnitt sie ihren fünf Lieblingspuppen das Haar, und dann ihr eigenes am kürzesten. Als sie sieben war, kam sie zur Überzeugung, daß die Tagelöhner in ihren verfallenen Häusern am südlichen Stadtrand keine ausreichend nahrhafte Diät bekamen, daher leerte sie die Vorratskammern, Kühlschränke, Gefriertruhen und Synthetisierer des Hauses, überredete drei Freundinnen, sie zu begleiten und verteilte Lebensmittel im Wert von mehreren hundert Mark des monatlichen Lebensmittelbudgets ihrer Eltern.
Als sie zehn war, reagierte Rachel auf eine Herausforderung von Stubby Berkowitz und versuchte, auf die älteste Ulme in Crawford zu klettern. Sie war vierzig Meter hoch, keine fünf Meter mehr von der Spitze entfernt, als ein Zweig brach und sie zwei Drittel des Stücks zum Boden abstürzte. Sol war in sein Komlog eingeklinkt, während er die moralische
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