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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und leicht zu inspizieren waren, war die Sphinx eine Masse großer Quader mit engen Korridoren, die sich manchmal unmöglich verjüngten und manchmal die Proportionen eines Auditoriums annahmen, aber nirgends hinführten und letztlich immer wieder im Kreis verliefen. Es gab keine Grabkammern, keine Schatzkammern, keine geplünderten Sarkophage, Fresken an den Wänden oder Geheimgänge, lediglich einen Irrgarten sinnloser Flure durch schwitzenden Stein.
    Rachel und Melio Arundez, ihr Liebhaber, kartographierten die Sphinx, wobei sie eine Methode benützten, die seit mindestens siebenhundert Jahren angewendet wurde und irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert in den ägyptischen Pyramiden erstmals getestet worden war. Sie postierten hochempfindliche Detektoren von Strahlung und kosmischen Strahlen am tiefsten Punkt der Sphinx und zeichneten Ankunftspunkt und Ablenkungsmuster der Teilchen auf, die die Steinstruktur über ihnen passierten, und suchten so nach verborgenen Kammern oder Durchgängen, die auch mit einem Tiefenradar nicht zu sehen sein würden. Weil die Touristen Hochsaison hatten und der Heimat-Regierungsrat von Hyperion Bedenken vorbrachte, die Zeitgräber könnten durch solche Untersuchungen beschädigt werden, begaben sich Rachel und Melio jede Nacht um Mitternacht zur Stätte, legten den halbstündigen Fußmarsch zurück und schlichen durch das Labyrinth der Korridore, das sie mit blauen Glühkugeln ausgeleuchtet hatten. Dort saßen sie bis zum Morgen unter Hunderttausenden Tonnen Stein, studierten ihre Instrumente und lauschten über Kopfhörer dem Piepsen von Teilchen, die in den Eingeweiden sterbender Sterne geboren worden waren.
    Bei der Sphinx waren die Gezeiten der Zeit kein Problem. Von allen Gräbern schien sie am wenigsten von den Anti-Entropiefeldern geschützt zu werden, und die Physiker hatten sorgfältig die Zeiten gemessen, wenn die Gezeitenwogen eine Gefahr darstellen konnten. Flut herrschte um 10.00 Uhr, doch diese ebbte nur zwanzig Minuten später wieder in Richtung des einen halben Kilometer südlich gelegenen Jadegrabs ab. Touristen durften sich der Sphinx erst ab 12.00 Uhr nähern, und damit eine Sicherheitsspanne blieb, achtete die Führung darauf, daß sie bis 09.00 Uhr alle wieder weg waren. Das Physikerteam hatte an verschiedenen Stellen an den Pfaden und Fußwegen zwischen den Gräbern chronotropische Sensoren aufgestellt, die auf Variationen der Gezeiten aufmerksam machen und Besucher warnen sollten.
    Als sie nur noch drei Wochen ihres Forschungsjahrs auf Hyperion zu absolvieren hatte, wachte Rachel eines Nachts auf, ließ ihren Geliebten schlafen und fuhr mit einem Bodenjeep vom Lager zu den Gräbern. Sie und Melio waren übereingekommen, daß es unsinnig war, die Monitore jede Nacht gemeinsam zu überwachen; nun wechselten sie sich ab, einer arbeitete an der Stätte, während der andere Daten sammelte und das letzte Projekt vorbereitete – eine Radarkartographierung der Dünen zwischen dem Jadegrab und dem Obelisken.
    Die Nacht war kühl und wunderschön. Die Vielfalt der Sterne reichte von Horizont zu Horizont, vier- bis fünfmal soviel, wie Rachel sehen konnte, als sie auf Barnards Welt aufgewachsen war. Die flachen Dünen flüsterten und verschoben sich im heftigen Wind, der von den Bergen im Süden wehte.
    Rachel stellte fest, daß die Scheinwerfer an der Stätte noch brannten. Die Physiker machten gerade Feierabend und beluden ihren Jeep. Sie unterhielt sich mit ihnen, trank eine Tasse Kaffee mit ihnen, bevor sie wegfuhren, und zog dann den Rucksack über und machte sich an den fünfundzwanzigminütigen Marsch in die Talsohle der Sphinx.
    Zum hundertsten Mal fragte sich Rachel, wer die Gräber gebaut hatte – und zu welchem Zweck. Aufgrund der Anti-Entropiefelder war eine Datierung der Baustoffe nicht möglich gewesen. Lediglich die Analyse der Gräber in Relation zur Erosion des Tals und anderer umliegender geologischer Gegebenheiten hatten auf ein Alter von mindestens einer halben Million Jahren hingedeutet. Der Eindruck blieb, daß die Architekten der Zeitgräber humanoid gewesen waren, auch wenn lediglich der Maßstab der Gebilde darauf hindeutete. Die Passagen in der Sphinx selbst enthüllten wenig: manche waren in ihren Abmessungen durchaus für Menschen geeignet, aber wenige Meter weiter konnte derselbe Tunnel schon zur Größe eines Kanalisationsrohrs schrumpfen und sich dann wieder zu etwas Größerem und Willkürlicherem als eine natürliche Höhle ausdehnen.

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