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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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für diese Situation bekommen, wenn ich nicht mehr über Sie und Ihre Situation weiß. Warum sollte Sie jemand umbringen, wenn er weiß, daß Sie wiedergeschaffen werden können, oder wie man das nennt?«
    »Ich sehe zwei mögliche Motive«, sagte Johnny über seinem Bier.
    Ich nickte. »Eines wäre, genau die Gedächtnislücke zu schaffen, die sie auch bewerkstelligt haben«, sagte ich. »Das würde bedeuten, was man Sie vergessen lassen wollte, geschah in der vergangenen Woche oder so, oder wurde Ihnen bewußt. Was ist das zweite Motiv?«
    »Eine Nachricht zu senden«, sagte Johnny. »Ich weiß nur nicht, was für eine. Oder von wem.«
    »Wissen Sie, wer Sie töten möchte?«
    »Nein.«
    »Überhaupt keine Vermutungen?«
    »Nein.«
    »Die meisten Morde«, sagte ich, »sind Taten plötzlicher, sinnloser Wut, die von jemandem begangen werden, den das Opfer gut kennt. Familie. Ein Freund oder Geliebter. Die Mehrheit der vorsätzlichen Tötungen werden für gewöhnlich von jemand verübt, der dem Opfer nahesteht.«
    Johnny sagte nichts. Sein Gesicht hatte etwas, das ich unglaublich attraktiv fand – eine Art männliche Stärke verbunden mit einem weiblichen Sinn von Aufmerksamkeit. Vielleicht waren es die Augen.
    »Haben KIs Familien?« fragte ich. »Zank? Fehden? Streit unter Liebenden?«
    »Nein.« Er lächelte verhalten. »Es gibt quasi-familiäre Arrangements, aber sie haben nichts von den Anforderungen oder Emotionen oder der Verantwortung, die Familien von Menschen besitzen. KI-›Familien‹ sind normalerweise bequeme Codegruppen, die zeigen, wo bestimmte Verarbeitungstrends ihren Ursprung haben.«
    »Also glauben Sie nicht, daß eine andere KI Sie angegriffen hat?«
    »Es wäre möglich.« Johnny drehte das Glas in der Hand. »Ich verstehe nur nicht, warum sie mich über meinen Cybrid angreifen sollten.«
    »Leichterer Zugang?«
    »Vielleicht. Aber komplizierter für den Täter. Ein Angriff in der Dateiebene wäre unendlich tödlicher gewesen. Außerdem sehe ich kein Motiv bei einer anderen KI. Es wäre sinnlos. Ich bin für niemand eine Bedrohung.«
    »Warum haben Sie einen Cybrid, Johnny? Vielleicht würde ich ein Motiv finden, wenn ich Ihre Rolle verstehen würde.«
    Er nahm eine Salzbrezel und spielte damit. »Ich habe einen Cybrid ... in gewisser Weise bin ich ein Cybrid, weil meine ... Funktion ... darin besteht, Menschen zu beobachten und auf sie einzugehen. In gewissem Sinne war ich selbst einmal menschlich.«
    Ich schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. Bisher hatte ich nichts begriffen, was er gesagt hatte.
    »Haben Sie von Persönlichkeitsrekonstruktionsprojekten gehört?«
    »Nein.«
    »Vor einem Standardjahr, als die FORCE-Sims die Persönlichkeit von General Horace Glennon-Height rekonstruiert haben, um herauszufinden, was ihn zu einem so brillanten General gemacht hat? Stand in allen Zeitungen.«
    »Ja.«
    »Nun, ich bin ... oder war ... ein früheres und weitaus komplizierteres Rekonstruktionsprojekt. Mein Persönlichkeitskern basiert auf einem Prä-Hegira-Dichter der Alten Erde. Uralt. Wurde nach dem Alten Kalender im späten achtzehnten Jahrhundert geboren.«
    »Wie, zum Teufel, können Sie eine Persönlichkeit nachvollziehen, die so weit in der Zeit zurückliegt?«
    »Werke«, sagte Johnny. »Seine Briefe. Tagebücher. Kritische Biographien. Aussagen von Freunden. Aber weitgehend durch seine Verse. Die Sim bildet die Umwelt nach, bezieht die bekannten Faktoren ein und arbeitet von den kreativen Erzeugnissen ausgehend rückwärts. Voilä – ein Persönlichkeitskern. Anfangs unfertig, aber als ich anfing zu existieren, schon ziemlich ausgereift. Unser erster Versuch war ein Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts namens Ezra Pound. Unsere Persönlichkeit war bis zur Absurdität verbohrt, über jede Vernunft hinaus mit Vorurteilen befrachtet und funktionell wahnsinnig. Wir mußten ein Jahr herumspielen, bis wir dahinterkamen, daß die Persönlichkeit stimmte; der Mann war verrückt gewesen. Ein Genie, aber verrückt.«
    »Und was dann?« sagte ich. »Sie haben Ihre Persönlichkeit um einen toten Dichter herum konstruiert. Was dann?«
    »Sie diente als Schablone, um die die KI gezüchtet wurde«, sagte Johnny. »Der Cybrid ermöglicht mir, meine Rolle in der Gemeinschaft der Dateiebene auszuführen.«
    »Als Dichter?«
    Johnny lächelte wieder. »Mehr als Gedicht«, sagte er.
    »Als Gedicht?«
    »Ein fortwährendes Kunstwerk ... aber nicht im menschlichen Sinne. Vielleicht ein Puzzle. Ein variables

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