Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
und warte. Ich bin nicht ganz sicher, worauf ich warte. Ich spüre zunehmende Wärme im Rücken, als sich die Morgensonne auf dem weißen Stein von Siris Grab spiegelt.
    Siris Grab?
    Es sind keine Wolken am Himmel. Ich hebe den Kopf und blinzle himmelwärts, als könnte ich die L. A. und die gerade fertiggestellte Farcasteranlage durch das Leuchten der Atmosphäre sehen. Kann ich nicht. Ein Teil von mir weiß, daß sie noch nicht aufgegangen sind. Ein Teil von mir kennt bis auf die Sekunde genau die Zeit, bis Schiff und Farcaster ihren Weg zum Zenit zurückgelegt haben. Ein Teil von mir will nicht darüber nachdenken.
    Siri, tue ich das Richtige?
    Plötzlich ist das Flattern von Wimpeln an ihren Stäben zu hören, als Wind aufkommt. Ich spüre die Unruhe der wartenden Menge mehr als ich sie sehe. Zum ersten Mal seit meiner Landung für dieses, unser Sechstes Wiedersehen, bin ich traurig. Nein, nicht traurig, noch nicht, aber von einer grimmigen Niedergeschlagenheit erfüllt, die bald schon zu Kummer werden wird. Ich habe jahrelang stumme Zwiegespräche mit Siri geführt, habe mir Fragen für künftige Diskussionen mit ihr zurechtgelegt, und plötzlich wird mir mit unerbittlicher Deutlichkeit bewußt, daß wir nie wieder zusammensitzen und reden werden. Eine Leere tut sich in mir auf.
    Soll ich es geschehen lassen, Siri?
    Keine Antwort, abgesehen vom zunehmenden Murmeln der Menge. In ein paar Minuten werden sie Donel, meinen jüngeren überlebenden Sohn, oder dessen Tochter Lira und seinen Sohn den Hügel herauf schicken und mich zur Eile antreiben lassen. Ich werfe den Grashalm weg, auf dem ich gekaut habe. Die Andeutung eines Schattens ist am Horizont zu sehen. Es könnte eine Wolke sein. Oder es könnte die erste Insel sein, die durch Instinkt oder die Frühlingsnordwinde veranlaßt wurde, zum breiten Streifen der äquatorialen Untiefen zurückzuwandern, woher sie gekommen ist. Einerlei.
    Siri, tue ich das Richtige?
    Ich bekomme keine Antwort und die Zeit wird knapp.
     
    Manchmal schien Siri so unwissend zu sein, daß es mich krank machte.
    Sie wußte nichts von meinem Leben fern von ihr. Sie stellte Fragen, aber manchmal wunderte ich mich, ob die Antworten sie wirklich interessierten. Ich verbrachte viele Stunden damit, ihr die wunderbaren physikalischen Prinzipien zu erklären, auf denen unser Spin-Schiff basierte, aber sie schien sie nie zu begreifen. Einmal hatte ich mir viel Mühe gemacht, ihr die Unterschiede zwischen ihren alten Saatschiffen und der Los Angeles zu erklären, und danach verblüffte Siri mich mit der Frage: »Aber warum brauchten meine Vorfahren achtzig Jahre Schiffszeit, um nach Maui-Covenant zu gelangen, wo du die Reise doch in hundertdreißig Tagen machen kannst?« Sie hatte nichts begriffen.
    Siris Sinn für die Geschichte war bestenfalls erbärmlich. Sie betrachtete die Hegemonie und das Weltennetz so, wie ein Kind die Phantasiewelt eines unterhaltsamen, aber eigentlich kindischen Mythos betrachten würde; diesbezüglich stellte sie eine Gleichgültigkeit zur Schau, die mich manchmal fast in den Wahnsinn trieb.
    Siri wußte alles über die frühen Tage der Hegira – wenigstens insoweit, als es Maui-Covenant und die Kolonisten betraf, und sie wußte manchmal spannende Bruchstücke uralter Nebensächlichkeiten oder Ausdrucksweisen zu schildern, aber von den Gegebenheiten nach der Hegira wußte sie nichts. Namen wie Garden und die Ousters, Renaissance und Lusus sagten ihr so gut wie nichts. Ich konnte Salmud Brevy oder General Horace Glennon-Height erwähnen, und sie zeigte überhaupt keine Reaktion. Keine.
    Als ich Siri das letzte Mal sah, war sie siebzig Standardjahre alt. Sie war siebzig Jahre alt und trotzdem hatte sie ihre Welt noch niemals verlassen, nie eine Fatline benützt, nie ein alkoholisches Getränk gekostet außer Wein, war nie mit einem Empathiechirurgen gekoppelt, nie durch ein Farcasterportal getreten, hatte nie ein Cannabisstäbchen geraucht oder eine Genmodellierung erlebt, sich nie in ein Stimsim eingeklinkt, nie eine formale Ausbildung erhalten, RNS-Medizin genommen, von den Zen-Gnostikern oder der Kirche des Shrike gehört oder mit einem Fahrzeug geflogen, abgesehen von dem vorsintflutlichen Vikken-Gleiter, der ihrer Familie gehörte.
    Siri hatte nie mit jemandem geschlafen, außer mit mir. Das behauptete sie. Und ich glaubte es ihr.
     
    Während unseres Ersten Wiedersehens, damals im Archipel, nahm Siri mich zu einer Unterhaltung mit den Delphinen mit.
    Wir waren

Weitere Kostenlose Bücher