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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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müsste Rachel auffallen, aber sie zuckte nur mit den Achseln und lachte. »Herrje, alles. Der alte Mr. Eikhardt – das ist der Lehrer für Paläontologie und Archäologie im Kurs für Fortgeschrittene, den ich am Bildungszentrum besuche – hat gesagt, dort haben sie eine tolle Fakultät für frühgeschichtliche Artefakte.«
    »Haben sie«, brachte Melio heraus.
    Rachel sah schüchtern von ihrem Vater zu dem Fremden, da sie offenbar eine Spannung spürte, aber die Ursache nicht kannte. »Nun, ich unterbreche nur eure Unterhaltung. Ich muss rein und ins Bett. Ich glaube, ich habe einen seltsamen Virus gehabt – so wie Meningitis, sagt Mom, nur macht er mich ein bisschen durcheinander. Es war schön, Sie kennenzulernen, Dr. Arundez. Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages an der Reichs wieder.«
    »Das hoffe ich auch«, sagte Melio und betrachtete sie im Halbdunkel so durchdringend, dass Sol den Eindruck hatte, er wollte sich alles in diesem Augenblick einprägen.
    »Okay, gut …«, sagte Rachel und wich zurück, wobei die
Gummisohlen ihrer Schuhe auf dem Gehweg quietschten. »Dann gute Nacht. Wir sehen uns morgen früh, Dad.«
    »Gute Nacht, Rachel.«
    Sie blieb unter der Tür stehen. Im Licht der Gaslaterne auf dem Rasen sah sie viel jünger als dreizehn aus. »Later, alligator.«
    »While, crocodile«, sagte Sol und hörte, wie Melio es gleichzeitig flüsterte.
    Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander und spürten, wie sich die Nacht über die kleine Stadt senkte. Ein Junge fuhr mit dem Fahrrad vorbei; Laub raschelte unter den Reifen, die Speichen funkelten im Licht der alten Straßenlaternen. »Kommen Sie ins Haus«, sagte Sol zu dem schweigenden Mann. »Sarai wird sich freuen, Sie zu sehen. Rachel wird schlafen.«
    »Nicht jetzt«, sagte Melio. Er war ein Schatten und hatte die Hände immer noch in den Taschen. »Ich muss … Es war ein Fehler, Sol.« Er wandte sich ab, drehte sich wieder um. »Ich rufe an, wenn ich auf Freeholm bin«, sagte er. »Wir rüsten noch eine Expedition aus.«
    Sol nickte. Drei Jahre Transit, dachte er. Wenn sie heute Nacht noch aufbrechen würden, wäre sie … nicht ganz zehn, bis sie ankommen. »Gut«, sagte er.
    Melio blieb stehen, hob zum Abschied die Hände, ging auf dem Gehweg davon und achtete nicht auf die Blätter, die unter seinen Füßen raschelten.
    Sol sah ihn in persona nie wieder.
     
    Die größte Kirche des Shrike im Netz befand sich auf Lusus, und dorthin farcastete Sol ein paar Wochen vor Rachels zehntem Geburtstag. Das Gebäude selbst war nicht größer als eine Kathedrale auf der Alten Erde, aber mit seinen schwebenden Zinnen, den verzerrten Obergeschossen und den Stützwänden aus Buntglas wirkte es gigantisch. Sols Stimmung war
düster, und die brutale Schwerkraft von Lusus trug nicht dazu bei, ihn aufzumuntern. Trotz seiner Verabredung mit dem Bischof musste er fast fünf Stunden warten, bis er ins innere Heiligtum vorgelassen wurde. Die meiste Zeit verbrachte er damit, die rotierende zwanzig Meter hohe Statue aus Stahl und Polychrom zu betrachten, die vielleicht das legendäre Shrike darstellen sollte – vielleicht aber auch eine abstrakte Hommage an jede scharfkantige Waffe war, die man je erfunden hatte. Was Sol am meisten interessierte, waren die beiden roten Ovale, die in dem alptraumhaften Gebilde schwebten, das ein Schädel sein mochte.
    »M. Weintraub?«
    »Eure Exzellenz«, sagte Sol. Er merkte, dass die Anwärter, Exorzisten, Lehrmeister und Türsteher, die ihm während der langen Wartezeit Gesellschaft geleistet hatten, sich flach auf die dunklen Fliesen geworfen hatten, als der Hohepriester eingetreten war. Sol brachte eine formelle Verbeugung zustande.
    »Bitte, bitte, treten Sie ein, M. Weintraub«, sagte der Priester. Er deutete mit einer ausholenden Bewegung des Arms auf die Tür des Shrike-Sanktuariums.
    Sol trat ein, befand sich in einem dunklen, hallenden Saal, der sich nicht sehr von dem Schauplatz seines wiederkehrenden Traums unterschied, und setzte sich, wo der Bischof hingedeutet hatte. Als der Geistliche zu seinem eigenen Platz ging, einer Art kleinem Thron hinter einem kunstvoll geschnitzten, aber durch und durch modernen Schreibtisch, fiel Sol auf, dass der Priester ein Einheimischer von Lusus war, der dick geworden war und einen klobigen Kiefer hatte, aber dar über hinaus so stattlich wirkte wie alle Bewohner von Lusus. Seine Robe war atemberaubend rot – ein helles Arterienrot, das mehr wie eine gefangene

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