Die Hyperion-Gesänge
Gruppe ging hinaus in die kühle Abendluft und schirmte die Augen vor dem atemberaubenden Schauspiel der lautlosen Detonationen ab, die den Himmel erfüllten: Grellweiße Fusionsflammen dehnten sich wie Explosivwellen über einen lapislazulifarbenen See aus; kleinere, grellere Plasmaimplosionen in Blau und Gelb und Rot falteten sich nach innen wie
Blumen, die sich zur Nacht schlossen: der Lichtertanz gigantischer Höllenpeitschensalven, Strahlen vom Durchmesser kleiner Welten, die sich einen Weg über Lichtminuten hinweg bahnten und von den Gezeitenkräften der Defensivsingularitäten abgelenkt wurden; das Nordlichtleuchten von Defensivfeldern, die im Ansturm unvorstellbarer Energie wankten, zusammenbrachen und Nanosekunden später neu entstanden. Und inmitten von alledem die blauweißen Fusionsstrahlen von Fregatten und schweren Schlachtkreuzern, die perfekte Linien über den Himmel zogen wie Diamanten, die Rillen in blaues Glas ritzten.
»Die Ousters«, hauchte Brawne Lamia.
»Der Krieg hat begonnen«, sagte Kassad. Seine Stimme verriet keine Hochstimmung, ja überhaupt keinerlei Gefühlsregung.
Der Konsul stellte erschrocken fest, dass er leise weinte. Er wandte das Gesicht von der Gruppe ab.
»Sind wir hier in Gefahr?«, fragte Martin Silenus. Er hatte sich unter den Steinbogen der Tür zurückgezogen und blinzelte in das grelle Spektakel.
»In dieser Entfernung nicht«, sagte Kassad. Er hob das Gefechtsfernglas, stellte es ein und konsultierte sein taktisches Komlog. »Die Gefechte sind mindestens drei AE entfernt. Die Ousters testen lediglich die Verteidigungseinrichtungen von FORCE:Weltraum.« Er ließ das Fernglas sinken. »Es hat erst angefangen.«
»Ist der Farcaster schon aktiviert worden?«, fragte Brawne Lamia. »Werden die Menschen aus Keats und den anderen Städten schon evakuiert?«
Kassad schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Noch nicht. Die Flotte wird Hinhaltemanöver durchführen, bis die cislunare Sphäre vollständig ist. Dann werden die Evakuierungsportale zum Netz geöffnet werden, während die FORCE-Einheiten
zu Hunderten durchkommen.« Er hob das Fernglas wieder. »Das wird ein Schauspiel.«
»Sehen Sie!« Pater Hoyt deutete nicht auf das Feuerwerk am Himmel, sondern über die flachen Dünen der nördlichen Moore. Mehrere Kilometer in Richtung der unsichtbaren Gräber konnte man eben noch eine einzelne Gestalt erkennen, ein winziges Pünktchen, das unter dem aufgewühlten Himmel einen vielfachen Schatten warf.
Kassad richtete das Glas auf die Gestalt.
»Das Shrike?«, fragte Lamia.
»Nein, ich glaube nicht … Ich glaube, es ist … ein Tempelritter, der Robe nach zu urteilen.«
»Het Masteen!«, rief Pater Hoyt.
Kassad zuckte mit den Achseln und reichte das Glas herum. Der Konsul kam zur Gruppe zurück und lehnte sich auf das Balkongeländer. Außer dem Flüstern des Windes war kein Laut zu hören, aber das machte die Gewalt der Explosionen über ihnen noch geheimnisvoller.
Als die Reihe an ihn kam, nahm auch der Konsul das Fernglas und sah hindurch. Die Gestalt war groß, trug eine Robe und hatte dem Keep den Rücken zugedreht; sie schritt voll zielstrebiger Entschlossenheit über den leuchtend karmesinroten Sand.
»Geht er auf uns oder die Gräber zu?«, fragte Lamia.
»Die Gräber«, sagte der Konsul.
Pater Hoyt stützte die Ellbogen auf das Geländer und hob das Gesicht zum explodierenden Himmel. »Wenn es Masteen ist, sind wir wieder sieben, richtig?«
»Er wird Stunden vor uns dort sein«, sagte der Konsul. »Einen halben Tag, wenn wir wie geplant hier schlafen.«
Hoyt zuckte mit den Achseln. »Das dürfte nicht zu viel ausmachen. Sieben sind zur Pilgerfahrt aufgebrochen. Sieben werden eintreffen. Das Shrike wird zufrieden sein.«
»Wenn es Masteen ist «, sagte Oberst Kassad, »warum dann die Scharade auf dem Windwagen? Und wie konnte er vor uns hier sein? Es verkehrten keine anderen Seilbahngondeln, und er kann nicht zu Fuß über die Pässe des Bridle Range gegangen sein.«
»Wir fragen ihn, wenn wir morgen bei den Gräbern eintreffen« , sagte Pater Hoyt müde.
Brawne Lamia hatte versucht, jemanden über die allgemeine Komfrequenz ihres Komlogs zu erreichen. Außer dem Rauschen von Statik und dem gelegentlichen Knurren ferner EMPs kam aber nichts herein. Sie sah Oberst Kassad an. »Wann fangen sie mit der Bombardierung an?«
»Ich weiß nicht. Das kommt auf die Stärke der Verteidigung der FORCE-Flotte an.«
»Gestern war die Verteidigung nicht
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