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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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weitere Springbrunnen und sie konnte nicht sicher sein, ob es dieser gewesen war.
    Lamia ging durch den großen Speisesaal unter der gesprungenen Kuppel, aber der Raum war von dunklen Schatten erfüllt. Ein Geräusch ertönte, worauf sie mit erhobener Pistole herumwirbelte, doch es war nur ein Blatt oder ein uraltes Stück Papier, das über die Fliesen geweht wurde.
    Sie seufzte und verließ die Stadt schnellen Schrittes, obwohl sie nach Tagen ohne Schlaf übermüdet war. Sie bekam keine
Antwort auf Komloganfragen, spürte aber den Déjà-vu -Sog der Zeitgezeiten und war nicht überrascht. Der Abendwind hatte alle Spuren verwischt, die Martin auf dem Rückweg ins Tal hinterlassen haben mochte.
    Die Gräber leuchteten wieder, das merkte Lamia, noch ehe sie den Sattel am Zugang zum Tal erklommen hatte. Kein helles Leuchten – kein Vergleich mit den Explosionen am Himmel  –, aber jedes oberirdische Grab schien fahles Licht zu verströmen, als würden sie tagsüber gespeicherte Energie freigeben.
    Lamia stand am Eingang zum Tal, rief und kündigte Sol und den anderen an, dass sie zurückkehrte. Sie hätte Hilfe auf den letzten hundert Metern nicht abgelehnt. Lamias Rücken war unter den Gurten wundgescheuert, die Bluse blutgetränkt, wo die Gurte ins Fleisch geschnitten hatten.
    Sie erhielt keine Antwort auf ihre Rufe.
    Während sie langsam die Stufen zur Sphinx hinaufstieg, spürte sie ihre Erschöpfung. Sie ließ die Last auf die breite Steinveranda fallen und kramte nach ihrer Taschenlampe. Das Innere war dunkel. Schlafgewänder und Schlafsäcke lagen in dem Raum verstreut, wo sie genächtigt hatten. Lamia rief, wartete, bis das Echo verklungen war, und ließ den Lichtstrahl noch einmal durch die Kammer wandern. Alles war unverändert. Nein, Moment mal, etwas war anders. Sie machte die Augen zu und versuchte, sich den Raum vorzustellen, wie er am Morgen gewesen war.
    Der Möbiuskubus fehlte. Die seltsame energieversiegelte Kiste, die Het Masteen auf dem Windwagen zurückgelassen hatte, war nicht mehr an ihrem Platz in der Ecke. Lamia zuckte mit den Achseln und ging hinaus.
    Das Shrike wartete. Es stand unmittelbar vor der Tür. Es war viel größer, als sie erwartet hatte, und ragte hoch über ihr auf.
    Lamia ging hinaus, wich zurück und unterdrückte den
Drang, vor dem Ding zu schreien. Die erhobene Pistole in ihrer Hand war winzig und nutzlos. Die Taschenlampe klapperte auf den Steinboden.
    Das Ding legte den Kopf schief und sah sie an. Rotes Licht pulsierte irgendwo hinter seinen Facettenaugen. In den Flächen seines Körpers spiegelte sich das Licht von oben.
    »Du Hurensohn«, sagte Lamia mit gelassener Stimme. »Wo sind sie? Was hast du mit Sol und dem Baby gemacht? Wo sind die anderen?«
    Das Wesen neigte den Kopf in die andere Richtung. Sein Gesicht war so fremdartig, dass Lamia seinen Ausdruck nicht deuten konnte. Die Körpersprache drückte nur Bedrohung aus. Stählerne Finger wurden klickend gespreizt wie ausklappbare Skalpelle.
    Lamia schoss ihm viermal ins Gesicht; die schweren 16-mm-Geschosse prallten ab und verschwanden heulend in der Nacht.
    »Ich bin nicht zum Sterben hierhergekommen, du Eisenarsch« , sagte Lamia, zielte und feuerte noch ein Dutzend Mal. Jede Kugel traf das Ziel.
    Funken flogen. Das Shrike hob den Kopf, als würde es einem fernen Geräusch lauschen.
    Es war fort.
    Lamia sperrte den Mund auf, wirbelte herum. Nichts. Der Boden des Tals glomm im Sternenlicht, als der Nachthimmel sich beruhigte. Selbst der Wind hatte aufgehört.
    Brawne Lamia stolperte zu den Rucksäcken, setzte sich auf den größten und versuchte, ihren Herzschlag wieder auf normale Geschwindigkeit zu bekommen. Sie stellte interessiert fest, dass sie keine Angst gehabt hatte – wirklich nicht – aber das Adrenalin in ihrem Blutkreislauf ließ sich nicht leugnen.
    Sie behielt die Pistole, in deren Magazin sich noch ein halbes Dutzend Kugeln befanden und deren Feuerkraft noch stark
war, in einer Hand, griff mit der anderen nach einer Wasserflasche und gönnte sich einen großen Schluck.
    Das Shrike erschien an ihrer Seite. Sein Eintreffen geschah von einem Augenblick zum anderen und völlig lautlos.
    Lamia ließ die Flasche fallen und versuchte, die Pistole hochzureißen, während sie sich nach einer Seite krümmte.
    Sie hätte sich ebensogut in Zeitlupe bewegen können. Das Shrike streckte die rechte Hand aus, auf stricknadelgroßen Nägeln spiegelte sich das Licht, dann glitt eine dieser Spitzen hinter ihr

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