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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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unmöglich, dass derart aufgespießte Menschen so lange überleben konnten; doppelt unmöglich, dass sie im Vakuum dieses Ortes außerhalb von Raum und Zeit existierten. Und dennoch überlebten und litten sie. Kassad sah, wie sie sich krümmten und wanden. Alle waren am Leben. Und alle litten Höllenqualen.
    Kassad bemerkte ihren Schmerz als gewaltigen Lärm jenseits des Hörens, ein riesiges, unablässiges Nebelhorn der Qual, als würden Tausende unkundige Finger auf Tausende Tasten fallen und so eine gewaltige Orgel der Qual spielen. Der Schmerz war so greifbar, dass Kassad den flammenden Himmel absuchte, als wäre der Baum ein Scheiterhaufen oder ein
riesiges Fanal, dessen Wellen des Schmerzes deutlich sichtbar sein müssten.
    Er erblickte lediglich das grelle Licht der lunaren Stille.
    Kassad steigerte die Vergrößerung seiner Anzugsichtlinsen und blickte von Zweig zu Zweig, von Dorn zu Dorn. Die Menschen, die sich dort wanden, waren beiderlei Geschlechts und aus allen Altersschichten. Sie trugen eine Vielfalt zerrissener Kleidungsstücke und unordentlicher Frisuren, die viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte der Mode überspannten. Viele Stile waren Kassad unbekannt, und er ging davon aus, dass er Opfer aus seiner eigenen Zukunft sah. Es waren Tausende  – Zehntausende – Opfer. Alle lebten. Alle litten.
    Kassad hielt inne, konzentrierte sich auf einen Zweig vierhundert Meter über dem Boden, auf eine Gruppe Leiber weit vom Stamm entfernt, auf einen einzelnen, drei Meter langen Stachel, auf dem sich ein altbekanntes purpurnes Cape bauschte. Die Gestalt dort wand sich und zuckte und drehte sich zu Fedmahn Kassad um.
    Er sah die gepfählte Gestalt von Martin Silenus vor sich.
    Kassad fluchte und ballte die Fäuste, bis die Knochen seiner Hände weh taten. Er sah sich nach seinen Waffen um und drehte die Vergrößerung hoch, damit er in den Kristallmonolithen blicken konnte. Da war nichts.
    Oberst Kassad schüttelte den Kopf, als ihm klar wurde, dass der Hautanzug eine bessere Waffe als alle war, die er nach Hyperion mitgebracht hatte, und ging auf den Baum zu. Er wusste nicht, wie er daran hochklettern sollte, aber er würde eine Möglichkeit finden. Er wusste nicht, wie er Silenus lebend da runterbringen sollte – alle Opfer –, aber er würde es schaffen oder bei dem Versuch sterben.
    Kassad ging zehn Schritte – und blieb an der Krümmung einer geschmolzenen Düne stehen. Das Shrike stand zwischen ihm und dem Baum.

    Er stellte fest, dass er unter dem Chromkraftfeld des Hautanzugs verbissen grinste. Darauf hatte er viele Jahre gewartet. Dies war die ehrwürdige Kriegführung, auf die er vor zwanzig Jahren bei der Masada-Zeremonie von FORCE Leben und Ehre geschworen hatte. Einzelkampf zwischen Kontrahenten. Ein Gefecht, um die Unschuldigen zu schützen. Kassad grinste, verflachte die Kante seiner rechten Hand zu einer silbernen Klinge und ging weiter.
    – Kassad!
    Auf Monetas Ruf hin blickte er sich um. Licht blitzte auf der Quecksilberoberfläche ihres nackten Körpers, als sie Richtung Tal deutete.
    Ein zweites Shrike kam aus dem Grab mit Namen Sphinx. Weiter unten im Tal trat ein Shrike aus dem Eingang des Jadegrabs. Grelles Licht funkelte auf Dornen und Stacheldraht, und dann erschien noch eines aus dem einen halben Klick entfernten Obelisken.
    Kassad achtete nicht auf sie, sondern drehte sich wieder zu dem Baum und seinem Beschützer um.
    Hundert Shrikes standen zwischen Kassad und dem Baum. Er blinzelte, worauf hundert weitere links von ihm auftauchten. Er sah hinter sich, und dort standen eine Legion Shrikes reglos wie Skulpturen auf den kalten Dünen und geschmolzenen Felsen der Wüste.
    Kassad schlug sich mit der Faust aufs Knie. Verdammt!
    Moneta trat neben ihn, bis sich ihre Arme berührten. Die Hautanzüge flossen zusammen, und er spürte die warme Haut ihres Unterarms an seinem. Sie stand dicht neben ihm.
    – Ich liebe dich, Kassad.
    Er betrachtete die perfekten Züge ihres Gesichts, achtete nicht auf die amoklaufenden Spiegelungen und Farben dort und versuchte sich daran zu erinnern, wie er ihr im Wald bei Agincourt zum ersten Mal begegnet war. Er erinnerte sich an
ihre erstaunlichen grünen Augen und das kurze braune Haar. An ihre volle Unterlippe und den Geschmack von Tränen, als er sie einmal versehentlich dort gebissen hatte.
    Er hob eine Hand, berührte ihre Wange und spürte ihre warme Haut unter dem Anzug. Wenn du mich liebst , übermittelte er, bleib hier.
    Dann wandte sich

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