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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dieser Skalpelle Blut aus meinem Bizeps quellen ließ.
    Es führte mich durch die Leichen zur Wand. Ich folgte ihm und versuchte, nicht auf die Leichen zu treten, was mir aber in meiner Hast, damit mein Arm nicht abgetrennt wurde, nicht immer gelang. Die Leichen zerfielen unter meinen Füßen zu Staub; eine trug den Abdruck meines Fußes auf dem eingesunkenen Brustkorb.
    Dann befanden wir uns an der Wand, an einem Abschnitt,
der plötzlich frei von Kruziformen war, und ich stellte fest, dass es sich um eine Art energieabgeschirmte Öffnung handelte  – nicht die richtige Größe und Form für ein Standard-Farcasterportal, aber das milchige Flimmern von Energie war so ähnlich. Etwas, womit ich diesen Lagerplatz des Todes verlassen konnte.
    Das Shrike stieß mich hindurch.
    Schwerelosigkeit. Ein Irrgarten zertrümmerter Schotts, Kabelstränge schwebten wie die Innereien eines Riesen, rote Lichter blinkten – einen Augenblick lang glaubte ich, auch hier wären Kruziformen, aber dann wurde mir klar, dass es sich um die Notlichter eines sterbenden Raumschiffs handelte. Dann drehte ich mich, überschlug mich in der ungewohnten Schwerelosigkeit, während weitere Leichen vorbeischwebten: keine Mumien hier, sondern gerade Gestorbene, frisch Getötete mit klaffenden Mündern und glasigen Augen, eisverkrusteten explodierten Lungen; so zogen sie Wolken aus gefrierendem Blut hinter sich her, während sie mit ihren langsamen, starren Reaktionen auf jeden Luftzug und jede unerwartete Bewegung des zerstörten FORCE-Schiffes reagierten und so Leben simulierten.
    Es war ein Schiff von FORCE, dessen war ich ganz sicher. Ich sah Uniformen von FORCE :Weltraum an den jugendlichen Toten. Ich sah militärische Kürzel an den Schotts und zerfetzten Luftschleusen, die nutzlosen Anweisungen an den mehr als nutzlosen Notfallspinden mit Hautanzügen und unaufgeblasenen Druckballons, die fein säuberlich zusammengelegt auf Regalen gestapelt waren. Was dieses Schiff auch zerstört haben mochte, hatte es so plötzlich getan wie eine Seuche in der Nacht.
    Das Shrike tauchte neben mir auf.
    Das Shrike – im Weltraum! Fern von Hyperion und den Fesseln der Zeitgezeiten! Auf vielen dieser Schiffe befanden sich Farcaster!

    Keine fünf Meter entfernt befand sich ein Farcasterportal in dem Korridor. Ein Leichnam taumelte darauf zu, der rechte Arm des Mannes stieß durch das milchige Feld, als wollte er das Wasser der Welt auf der anderen Seite testen. Die Luft entwich mit einem anschwellenden Heulton aus diesem Schacht. Geh!, drängte ich den Leichnam, aber der Druckunterschied wehte ihn von dem Portal weg; sein Arm war überraschenderweise noch unversehrt, heil, auch wenn das Gesicht des Mannes wie die Maske eines Anatomen aussah.
    Ich wandte mich zum Shrike um, aber durch die Bewegung drehte ich mich eine halbe Umdrehung in die andere Richtung.
    Das Shrike hob mich hoch – Klingen zerschnitten Haut – und trug mich den Flur entlang zum Farcaster. Ich hätte die Richtung nicht ändern können, wenn ich es gewollt hätte. In den Sekunden, ehe ich durch das summende, knatternde Portal ging, stellte ich mir ein Vakuum auf der anderen Seite vor, Stürze aus großer Höhe, explosive Dekompression oder – am allerschlimmsten – eine Rückkehr ins Labyrinth.
    Stattdessen taumelte ich einen halben Meter tiefer auf Marmorboden. Hier, keine zweihundert Meter von dieser Stelle entfernt, im Privatgemach von Papst Urban XVI. – der, wie es der Zufall will, keine drei Stunden, bevor ich durch seinen privaten Farcaster fiel, an Altersschwäche gestorben war. Die »Papsttür«, wie der Neue Vatikan es nennt. Ich spürte den Schmerz, so weit von Hyperion entfernt zu sein, so weit vom Ursprung der Kruziformen – aber der Schmerz ist inzwischen ein seltsamer Verbündeter, der keine Macht mehr über mich besitzt.
    Ich fand Edouard. Er war so gütig, mir stundenlang zuzuhören, während ich ihm eine Geschichte erzählte, die noch kein Jesuit je beichten musste. Er war noch gütiger, mir zu glauben. Jetzt haben Sie alles gehört. Das ist meine Geschichte.

     
    Das Gewitter war weitergezogen. Wir drei saßen bei Kerzenschein unter der Kuppel von St. Peter und sagten eine ganze Weile nichts.
    »Das Shrike hat Zugang zum Netz«, sagte ich schließlich.
    Durés Blick blieb gelassen. »Ja.«
    »Es muss ein Schiff im Raum um Hyperion gewesen sein.«
    »So scheint es.«
    »Dann können wir vielleicht dorthin zurück. Mit der … Papsttür? In den Raum um

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