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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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feuchten Kopf mit der hohlen Hand gegen die Wange stütze.
    Das Shrike wirbelt überrascht herum. Vier Arme werden ausgestreckt, Klingen schnappen auf, rote Augen sehen mich an. Aber die Kreatur ist zu nahe beim Portal selbst. Ohne sich zu bewegen, rutscht sie den Abfluss des Zeitstroms hinab. Die Schaufelbaggerkiefer des Dings klappen auf, Stahlzähne knirschen, aber es ist schon fort, ein Fleck in der Ferne. Etwas Geringeres.
    Ich drehe mich zum Eingang um, aber der ist zu weit entfernt. Die schwindende Energie des Erg könnte mich dorthin bringen, mich gegen den Strom schleppen, aber nicht mit Rachel. Ein weiteres lebendes Wesen so weit gegen so viel Widerstand zu tragen, kann ich nicht einmal mit Hilfe des Erg vollbringen.
    Das Baby schreit, worauf ich es sanft wiege und ihm beruhigenden Unsinn ins warme Ohr flüstere.
    Wenn wir nicht vor und nicht zurück können, warten wir einfach einen Augenblick hier. Vielleicht kommt jemand vorbei.
     
    Martin Silenus riss die Augen auf, Brawne Lamia drehte sich hastig um und sah das Shrike über sich in der Luft schweben.
    »Ach du Scheiße«, flüsterte Brawne ehrfürchtig.
    Im Palast des Shrike erstreckten sich die Reihen schlafender Menschen bis in halbdunkle Fernen, und bis auf Martin Silenus waren noch alle mit dem Baum der Dornen, der HI der
Maschinen und Gott allein wusste womit noch durch die pulsierenden Nabelschnüre verbunden.
    Es schien, als wollte das Shrike seine Macht beweisen, denn es hatte aufgehört zu gehen, die Arme ausgebreitet und schwebte drei Meter in die Höhe, bis es fünf Meter von dem Steinsims entfernt in der Luft hing, wo Brawne neben Martin Silenus kauerte.
    »Tun Sie etwas«, flüsterte Silenus. Der Dichter war nicht mehr mit Kortikalstecker an der Nabelschnur befestigt, aber noch zu schwach, den Kopf zu heben.
    »Vorschläge?«, sagte Brawne, aber die tapfere Bemerkung wurde durch das Zittern ihrer Stimme ruiniert.
    »Habt Vertrauen«, sagte eine Stimme unter ihm, worauf Brawne zum Boden hinuntersah.
    Die junge Frau, in der Brawne in Kassads Grab Moneta erkannt hatte, stand ganz unten.
    »Hilfe!«, rief Brawne.
    »Habt Vertrauen«, sagte Moneta und verschwand. Das Shrike hatte sich nicht ablenken lassen. Es ließ die Hände sinken und kam näher, als würde es auf solidem Stein und nicht auf Luft gehen.
    »Nein«, flüsterte Brawne.
    »Vom Regen in die Traufe«, keuchte Martin Silenus.
    »Seien Sie still!«, sagte Brawne. Dann, wie zu sich selbst: »Habt Vertrauen zu was? Zu wem?«
    »Vertrauen, dass uns das verdammte Shrike umbringt oder uns beide an seinem verdammten Baum aufspießt«, stöhnte Silenus. Er schaffte es, sich so weit zu bewegen, dass er Brawnes Arm ergreifen konnte. »Lieber tot als wieder an dem Baum, Brawne.«
    Brawne drückte kurz seine Hand und stellte sich dem Shrike über fünf Meter Luft hinweg entgegen.
    Vertrauen? Brawne streckte den Fuß aus, tastete in der Leere
herum, schloss für einen Moment die Augen und öffnete sie, als ihr Fuß eine solide Stufe zu berühren schien.
    Nichts als Luft befand sich unter ihrem Fuß.
    Vertra uen? Brawne verlagerte das Gewicht auf den vorderen Fuß, machte einen Schritt und wankte einen Moment, ehe sie den anderen Fuß nachzog.
    Sie und das Shrike sahen einander zehn Meter über dem Steinboden an. Die Kreatur schien zu grinsen, während sie die Arme ausbreitete. Der Panzer leuchtete stumpf im trüben Licht. Die roten Augen strahlten hell.
    Vertrauen? Brawne verspürte den Adrenalinstoß, als sie auf den unsichtbaren Stufen immer höher ging und in die Umarmung des Shrike trat.
    Sie spürte, wie Fingerklingen durch Stoff und Haut schnitten, als das Ding sie in die Arme nahm und an sich zog, zu der gekrümmten Klinge, die ihm aus der Brust wuchs, zu den offenen Kiefern und Reihen von Stahlzähnen. Aber Brawne, die auf solider Luft stand, beugte sich vor, legte die unversehrte Hand flach auf die Brust des Shrike und spürte die Kälte des Panzers, aber auch einen Sog von Wärme, als Energie von ihr abfloss, aus ihr floss, durch sie hindurchfloss.
    Die Klingen hielten inne, bevor sie mehr als Haut schnitten. Das Shrike erstarrte, als wäre der Strudel von Zeitenergie um sie herum zu einem Klumpen Bernstein geworden.
    Brawne legte dem Ding die Hand auf die breite Brust und drückte.
    Das Shrike erstarrte vollkommen, wurde spröde, der Glanz von Metall wich dem transparenten Funkeln von Kristall, dem Widerschein von Glas.
    Brawne stand auf Luft in den Armen einer drei Meter hohen

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