Die Hyperion-Gesänge
sauber. Nur wenig mehr als die Äquivalente von ein paar verlorenen Büroklammern und Münzen kamen mit der entweichenden Luft herausgeflogen. Kassad wartete, bis sich der Sturm gelegt hatte, und zwängte sich dann durch die Öffnung.
Er befand sich in einer Trägersektion: Die gepolsterte Kabine sah ziemlich genau wie die Sprungrattenhangars eines Schlachtschiffs aus. Kassad merkte sich, dass ein Tintenfisch wahrscheinlich zwanzig Oustersoldaten in vollem Vakuumkampfanzug beförderte. Jetzt war er leer. Eine offene Schleuse führte zum Cockpit.
Nur der befehlshabende Pilot war an Bord geblieben, und der war gerade dabei, den Sicherheitsgurt zu lösen, als Kassad ihn erschoss. Er stieß den Leichnam in die Trägersektion und schnallte sich in den – wie er hoffte – Pilotensitz.
Warmes Sonnenlicht fiel durch die Kuppel über ihm. Videomonitore und Konsolenholos zeigten Bilder von vorne, achtern und Momentaufnahmen der Suchaktionen im Wrack. Kassad sah kurz einen nackten Leichnam in OP 3 und mehrere Gestalten, die in ein Feuergefecht mit chirurgischen Lasern verwickelt waren.
In den Holodramen in Fedmahn Kassads Kindheit schienen die Helden immer genau gewusst zu haben, wie man Gleiter, Raumfahrzeuge, exotische EMVs und andere seltsame Maschinen bediente, wenn es erforderlich war. Kassad war ausgebildet worden, Militärtransporter, einfache Panzer und APCs zu bedienen, sogar ein Schlachtschiff oder Landungsboot, wenn die Lage verzweifelt war. Und wenn er auf einem
steuerlosen FORCE-Raumschiff festsaß – eine vage Möglichkeit –, kannte er sich so gut auf der Kommandobrücke aus, dass er mit dem Primärcomputer kommunizieren oder einen Notruf über Funk oder Fatline absetzen konnte. Doch nun, im Pilotensessel des Ouster-Tintenfischs, hatte Kassad nicht die geringste Ahnung.
Nein, das stimmte nicht ganz. Er erkannte die Griffschlitze der Fernbedienung für die Tentakelarme des Schiffs und hätte er zwei oder drei Stunden zum Nachdenken und für gründliche Inspektionen gehabt, hätte er sich vielleicht Sinn und Zweck verschiedener anderer Kontrollen zusammenreimen können. Aber er hatte keine Zeit: Der Bugbildschirm zeigte drei Gestalten in Raumanzügen, die schießend auf den Tintenfisch zueilten, der blasse, seltsam fremdartige Kopf eines Ousterkommandanten erschien plötzlich in der Holokonsole, und Kassad hörte Rufe aus den Ohrhörern.
Schweißperlen hingen ihm vor den Augen und rannen in Streifen an der Helminnenseite hinab. Er schüttelte sie, so gut es ging, ab, betrachtete blinzelnd die Kontrollkonsole und drückte auf mehrere Tastenfelder, die wie Bedienungselemente aussahen. Wenn es Stimmeingabekontrollen waren, es Prioritätssperren gab oder der Schiffscomputer argwöhnisch war, dann saß Kassad in der Falle, das wusste er. An das alles hatte er in den ein oder zwei Sekunden gedacht, bevor er den Piloten erschossen hatte, aber ihm war keine Möglichkeit eingefallen, wie er den Mann zur Zusammenarbeit hätte zwingen können. Nein, es musste so gehen, überlegte Kassad und drückte dabei noch mehr Kontrollen.
Eine Schubdüse erwachte zum Leben. Der Tintenfisch zerrte an seiner Vertäuung. Kassad wurde in seinem Gurt hin und her geschüttelt. »Scheiße«, flüsterte er, seine erste gesprochene Bemerkung, seit er die Ärztin gefragt hatte, wohin das Schiff unterwegs war. Er streckte sich so weit, dass er die Finger
samt Handschuhen in die Griffschlitze bekam. Vier der sechs Greifarme ließen los. Einer brach ab. Der letzte riss ein Stück der Hülle der HS Merrick ab.
Der Tintenfisch taumelte davon. Videokameras zeigten, wie zwei der Gestalten in den Raumanzügen ihr Ziel verfehlten und die dritte sich an derselben Antenne festklammerte, die Kassad gerettet hatte. Er wusste jetzt ungefähr, wo die Kontrollen der Schubdüsen waren, und tippte wie von Sinnen. Ein Deckenlicht ging an. Sämtliche Holoprojektoren gingen aus. Der Tintenfisch führte ein Manöver aus, das die brutalsten Elemente von Sturzflug, Kreisen und Gieren in sich vereinte. Kassad sah die Gestalt im Raumanzug über der Kuppel dahinfliegen, kurz auf dem Bugmonitor auftauchen und dann zu einem Pünktchen auf dem Bildschirm werden. Der Ouster feuerte noch Energiestrahlen, als er – oder sie – winzig und schließlich gar nicht mehr zu sehen war.
Kassad bemühte sich, bei Bewusstsein zu bleiben, während das unkontrollierte Schlingern andauerte. Mehrere Audio-und Video-Alarmanzeigen buhlten um seine Aufmerksamkeit. Kassad
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