Die Insel der Dämonen
ihren Onkel noch einmal in seiner Kajüte auf. De Roberval saß am Schreibtisch und schrieb in das Logbuch. Mit ruhiger Hand verfaßte er Zeile um Zeile und ließ Marguerite warten. Ihr schauderte, als ihr klar wurde, daß er vermutlich gerade den Fall des Buchhändlers darin vermerkte. Schließlich legte er die Feder zur Seite und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Marguerite konnte keine Spuren von Zweifel oder gar Gewissensbissen in seinem Gesicht entdecken.
»Bist du hier, um für diesen Sträfling um Gnade zu bitten?«
»Ja, Monsieur.«
»Du weißt vermutlich, daß du dir die Mühe sparen kannst?« »Aber Monsieur, der Mann hat es sicher nicht böse gemeint«, sagte sie.
»Davon verstehst du nichts.«
»Es waren doch nur die Worte eine Unglücklichen!«
»Nur Worte? Nein, Marguerite, er hat nicht nur dich und mich beleidigt, sondern auch den König, der mich mit dieser großen Aufgabe betraut hat. Den ganzen Adel hat er in den Schmutz gezogen! Reden wie die seine, Marguerite, rütteln an der Grundordnung unserer Welt. Wo kämen wir hin, wenn sich der gemeine Pöbel mit dem Adel auf eine Stufe stellte? Nein, dieser Mann hat sich des Hochverrats schuldig gemacht und deswegen ist mein Urteil notwendig und gerecht. Es wird den anderen an Bord als Warnung dienen.«
»Aber -«
»Es gibt kein Aber, der Mann wird im Morgengrauen an der obersten Rah aufgeknüpft. Und nun entschuldige mich, ich habe zu arbeiten.«
»Ja, Monsieur«, sagte Marguerite unglücklich.
»Und, Marguerite .«
»Ja, Monsieur?«
»Es wäre besser, du würdest dich in Zukunft von dem Pöbel fernhalten.«
»Ja, Monsieur.«
Marguerite war zutiefst unglücklich, als sie an diesem Abend zu Bett ging, und lange betete sie gemeinsam mit Damienne für die Seele des unglücklichen Monsieur Nantes. Beinahe hätte sie sogar vergessen, daß sie um Mitternacht verabredet war, dabei brauchte sie in dieser Nacht Henri mehr als je zuvor.
Als sie dann endlich in seinen Armen lag, weinte sie hemmungslos, und er versuchte, ihre Tränen mit Küssen zum Versiegen zu bringen. Sie schmiegte sich eng an ihn. Sie benötigte seinen Trost. Als er dieses Mal wieder zärtlich mehr verlangte, widerstand sie ihm nicht. Es war ihr gleich, ob es Sünde war.
In dieser traurigen Nacht schliefen sie das erste Mal miteinander. Es war anders, als sie erwartet hatte, sogar schmerzhaft. Trotzdem fühlte sie sich Henri in diesen Minuten so nahe wie noch nie einem anderen Menschen zuvor.
Damienne wälzte sich indes unruhig im Bett. Der Fall des Buchhändlers lag ihr auf der Seele und sie träumte schlecht. Irgendwann wurde sie wach. Irgend etwas stimmte nicht. Sie entzündete eine Kerze. Marguerite war nicht da! Damienne starrte auf das leere Bett. Sie wußte sofort, wo das Mädchen war, und sie kämpfte gegen den Impuls, ihr sofort hinterherzurennen und sie an den Haaren aus dem Frachtraum zu zerren. Sie atmete tief durch. Wie konnte Marguerite, ihr Lämmchen, sie nur derart hintergehen? Und wie dumm und wie blind war sie selbst, daß sie nicht gemerkt hatte, was da vor sich ging? Es brodelte in ihr, aber sie unternahm nichts, so schwer es ihr auch fiel. Sie löschte das Licht und wartete. Irgendwann hörte sie die nackten Füße Marguerites über den Kabinengang schleichen. Dann öffnete sich die Tür und nahezu geräuschlos schlüpfte jemand herein.
Als die Tür wieder geschlossen war, entzündete Damienne die Kerze. Marguerite blieb erschrocken stehen. Damienne sah sie an, sie sah das zerwühlte Haar und Blut auf ihrem Nachtgewand. Für einen Moment schwiegen beide. Marguerite schaute ihr mit einer Mischung aus Angst und Trotz in die Augen. Damienne raste das Blut in den Schläfen; dann tat sie, was sie noch nie getan hatte: Sie schlug Marguerite mit der flachen Hand ins Gesicht.
»Du dumme Gans!«, zischte sie, außer sich vor Wut.
Marguerite war für einen Augenblick wie erstarrt, dann warf sie sich aufs Bett und weinte.
Damienne stand hilflos und völlig durcheinander neben ihr. Ihre Wut war verflogen und ihr war selbst zum Heulen zumute. Noch nie hatte sie Marguerite geschlagen! Sie setzte sich neben das weinende Häufchen Elend und seufzte. Dann legte sie ihr zart die Hand auf die Schulter.
»Verzeih, mein Lämmchen, es tut mir leid, es tut mir so leid!«
Marguerite sah sie an, heulte weiter, und dann gab es kein Halten mehr, sie lagen einander weinend in den Armen und baten sich gegenseitig immer wieder um Verzeihung, so lange, bis es irgendwann leise an
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