Die Insel der Krieger
Weg wiederz u finden, den er mit Kaya gegangen war. Schließlich suchten sie nichts Auffälliges, nur ein Stück nackte Wand. Nalig blickte sich aufmerksam um. Man sah, dass hier lange niemand mehr gewesen war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, aufzuräumen, nachdem die meisten Götter Kijerta verlassen hatten. Efeu rankte sich durch zerbrochene Glasscheiben in die Gänge des Tempels und hatte an einigen Stellen regelrecht eine zweite Wand gebildet. Das Grün umschlang die Häu p ter der Götterstatuen, als wäre es ein Teil von ihnen. Hier und da waren die Efeuranken vertrocknet und hingen auf den Boden. Doch sie waren nicht einfach nur vertrocknet, wie Nalig bei näherem Hins e hen feststellte. Sie waren völlig schwarz und zerfielen bei der leisesten Berührung. »Das Grauen war auf jeden Fall hier«, sagte er und machte Thorix darauf aufmerksam. »Dann wollen wir mal hoffen, dass es jetzt nicht mehr hier ist«, erwiderte Thorix und ging weiter. Dass er die Stelle nicht mehr fand, an der Kaya den Durchgang in der Wand g e öffnet hatte, ärgerte ihn. Zwei Gänge weiter fanden sie ihn endlich. Er war kaum zu übersehen, denn er war offen und klaffte wie ein Loch in der Wand. Das Licht, das den Raum erhellt hatte, war erloschen und die weißen Wände hatten eine graue Farbe angenommen. »Wie kann das sein? Kaya meinte, dies sei einer der magischsten Orte auf Kijerta. Wie konnte das Grauen dort hineingelangen? « , fragte Thorix flüsternd. »Ich denke, wir haben das Grauen unterschätzt«, entgegnete Nalig ebenfalls im Flüsterton, obgleich niemand da war, der sie hätte bela u schen können. Behutsam traten die Jungen vor den Durchgang und blickten hinein. Thorix stöhnte auf, als er Greon sah. Nalig machte der Anblick ebenfalls betroffen, auch wenn er keinerlei Bedauern em p fand. Greons Gliedmaßen waren seltsam verdreht. Sein ganzer Körper war schwarz und vertrocknet und dort, wo der hämisch grinsende Mund und die überheblich dreinblickenden Augen gewesen waren, wurde nun der Schädel sichtbar. »Jetzt wissen wir, woher das Grauen sein Gesicht hat. Es hat es einfach mitgenommen, als es hier war«, erkannte Nalig. »Aber warum hat es ihn getötet? « Thorix trat zurück auf den Gang, um den Anblick nicht mehr ertragen zu müssen. »Vie l leicht einfach, weil es die Gelegenheit dazu hatte. Greon war alleine. Und er war sicher in keiner guten Verfassung, als das Grauen ihn vorfand. « Nalig ärgerte sich abermals, Greon am Leben gelassen zu haben. Wenn er mit der Vermutung Recht hatte, dass das Grauen Kraft aus Orten bezog, an denen finstere Gedanken herrschten, dann war dieser Raum sicher ein gefundenes Fressen gewesen, in dem Greon gesessen hatte, mit all seinem Groll und seiner Wut. Schwe i gend flogen die Jungen zurück zum nördlichen Haupthaus. »Mögl i cherweise war es trotzdem besser so«, meinte Thorix dann, als sie im Innenhof landeten. »Wenn du Greon getötet hättest, einfach zur Ve r geltung seines Verbrechens, dann hätte das dem Grauen sicher noch viel besser gefallen. « Doch kein »wenn, dann... « konnte Nalig trösten. Greon hatte dem Grauen Macht verschafft, hatte es womöglich übe r haupt erst heraufbeschworen. Nicht genug damit, dass er seinen Br u der getötet hatte. Vermutlich kostete seine Tat auch allen anderen Inselbewohnern das Leben und niemand konnte ihn nun mehr dafür zur Rechenschaft ziehen. Nalig entband Zalari von seinem Wachdienst und schilderte ihm knapp, was sie vorgefunden hatten. Ilia schlief noch und hatte Naligs Fortgehen gar nicht bemerkt. Der Junge legte sich zu ihr und lehnte den Kopf gegen ihre Schulter. Er spürte ihren Atem auf seinem Gesicht und legte unter der Decke sachte die Hand auf ihren Bauch. Ilia war im Augenblick der einzige Grund, weshalb er nicht völlig die Hoffnung aufgab. So viele waren schon an diesem Kampf zu Grunde gegangen. Doch er wollte ein Leben für Ilia und seinen Sohn, hier auf Kijerta, ohne Angst vor finsteren Mächten.
Begegnungen
A ls Nalig erwachte, lag Ilia nicht neben ihm. Auch Lina war schon auf den Beinen. Der Junge zog sich an und fand Ilia am Hintereingang der Küche sitzen, wo sie Spatzen mit Brotkrumen fütterte. Die kleinen Vögel pickten die Krümel mit flinken Bewegungen und flatterten dabei wild durcheinander. Auch zwei Kaninchen hatten mitbekommen, dass es hier leicht verdientes Futter gab. Nalig setzte sich zu dem Mädchen und küsste es auf die Wange. »Wo ist Eldo? « , wollte er wissen. »Bei Mira. Sie hat
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