Die Insel der Orchideen
du, wie ihr Mann reagiert, wenn sie ein uneheliches Mischlingskind aus dem Hut zaubert? Ich werde Lily erst dann aufklären, wenn ich weiß, dass Leah zu ihr steht. Nichts wäre schlimmer, als wenn Lily erführe, wer ihre Mutter ist, und diese sie dann verleugnet.«
Die beiden begannen ihre Suche im
Hotel del la Paix,
doch weder dort noch im
Pavillion,
im
Union Hotel,
im
Adelphi
oder im
Clarendon
befand sich unter den Gästen eine Dame, die Leah Uhlendorff hieß oder auf die ihre Beschreibung passte. Das nächste Ziel war das erste Haus am Platz. Johanna hätte es dort gar nicht erst probiert, kannte sie doch Leahs Abneigung gegen alles, was auch nur einen Hauch von Steifheit und gesellschaftlichem Zwang hatte, aber Mercy bestand darauf.
»Es tut mir leid, eine Leah Uhldorff wohnt nicht bei uns. Aber wir haben die Ehre, die Baroness of Talbury bei uns zu beherbergen.«
»Baroness?«, fragten Johanna und Mercy wie aus einem Mund.
»Ja.« Mrs Hjelmstrom, die Besitzerin des
Hotel d’Europe,
war sichtlich stolz auf ihre illustren Gäste. »Leah Burdett Baroness of Talbury, um genau zu sein. Klein, zierlich, dunkelbraune Haare, etwa achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre alt, kennt Singapur offenbar ausgezeichnet. Einer der Diener berichtete mir, dass sie Hokkien spricht. Leider sind die Herrschaften unterwegs. Ich weiß nicht, wann sie zurückkommen. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?«
In Johannas Kopf drehte sich alles. »Ja, ich würde der Baroness gerne einen Brief hinterlegen. Haben Sie Papier und Feder?«
»Selbstverständlich.«
Johanna und Mercy zogen sich auf die Terrasse zurück und orderten Tee. Während Mercy die Empfangshalle mit Argusaugen beobachtete, um Leah oder den geheimnisvollen Baron nicht zu verpassen, kritzelte Johanna Seite um Seite voll, versuchte Leah die ungeheure Tat der Mutter in schonenden Worten nahezubringen, versagte, strich aus, schrieb neu. Tränen tropften auf das Papier und ließen die Tinte verlaufen, aber das war gleichgültig. Selbst wenn sie Wochen Zeit gehabt hätte, wäre es ihr nicht gelungen, die richtigen Worte zu finden. Die Schwester musste mit dem Gestammel vorliebnehmen, das so perfekt den Aufruhr in Johannas Seele widerspiegelte. Endlich hatte sie alles gesagt. Sie faltete den Brief, ohne ihn noch einmal zu lesen, verschloss ihn in einem Umschlag und gab ihn der Hotelbesitzerin mit der Bitte um Weiterleitung.
* * *
Bestimmt eine Stunde oder länger hatte Leah den Kutscher hierhin und dorthin gescheucht, doch von dem Palanquin, der ihre Tochter entführt hatte, war keine Spur zu sehen. Sie hatte gar nicht erst versucht, sich zu beruhigen, sondern ihrer Wut die Zügel schießen lassen. Ihre Enttäuschung war grenzenlos, als ihr bewusst wurde, dass selbst Onkel Koh zu den Verschwörern gehörte. Warum sonst hätte er so dringlich darauf bestehen sollen, dass sie mit Johanna sprach?
Irgendwann gerieten sie in das Gewühl rund um Raffles Place. Leah gab auf. Es war aussichtslos, das Kind zu finden, zu groß war die Stadt geworden. Dann musste sie eben am Abend vor dem Bungalow warten. Sie entlohnte den Kutscher und stand eine Weile lang ratlos im Schatten der Bäume, die im Park in der Mitte des Platzes gen Himmel wuchsen, als ein Firmenschild ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie betrachtete es eingehend, holte tief Luft und ging dann auf den Eingang des Kontors zu. Aufwühlender konnte der Tag ohnehin nicht mehr werden.
»Lassen Sie mich durch.« Leah schob den chinesischen Diener, der ihr den Zugang zu Boon Lees Haus verwehren wollte, rabiat beiseite und trat ein. Im Kontor hatte man ihr gesagt, er sei abwesend, und deshalb versuchte sie es nun hier. Unbeeindruckt erfasste sie die Pracht der Besuchern vorbehaltenen Eingangshalle. Sie hatte Häuser wie diese in Penang zuhauf besucht. Wohl wissend, dass es ungehörig war, marschierte sie auf den mit reichhaltigen Schnitzereien verzierten Raumteiler zu, der den offiziellen vom privaten Teil des Hauses abtrennte.
»Mem, ich muss Sie doch bitten!« Der Diener schwitzte vor Angst, ob vor ihr oder vor Boon Lees gerechtem Zorn, blieb dahingestellt. Wahrscheinlich vor beidem.
Leah blieb abrupt stehen. »Gut, dann hol deinen Herrn.«
»Wen soll ich melden?«, fragte der Mann, sichtlich erleichtert über das Einlenken der aufgebrachten europäischen Dame.
»Die Baroness of Talbury.« Leah holte tief Luft. »Nein«, korrigierte sie sich, »melde ihm Leah Uhldorff.«
Der Diener verschwand. Ungeduldig durchmaß
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