Die Insel der roten Erde Roman
was ich hier habe! Was steht da? Accecare, stupido idiota! «
Obwohl er sich schnell geduckt hatte, knallte ihm das Buch an den Kopf. Edgar verstand überhaupt nichts mehr. »Du hast mir nie gezeigt, was du da liest, Schatz!« Er hatte angenommen, es handle sich um eine Liebesgeschichte, doch das sagte er nicht laut, aus Angst, sie würde ihm wieder attackieren.
Plötzlich hellte ihre Miene sich auf. »Du hattest einen Eingeborenen zum Freund?«
»Ja. Er hieß Wanupingu und war eine Zeit lang auf den Goldfeldern von Kalgoolie, wo ich ihn kennen lernte. Er arbeitete als Fährtenleser für einen Landvermesser der Regierung, deshalb sprach er ganz gut Englisch. Er blieb jedoch nicht lange, sondern brach zum Walkabout auf, der rituellen Wanderung der Aborigines.«
»Seine Lebensgeschichte interessiert mich nicht. Erzähl mir lieber, was er dir über Pflanzen beigebracht hat.«
»Oh, eine ganze Menge. Ich weiß, welche Pflanzen gegen Durchfall helfen und welche gegen Schnupfen, welche Blutungen stillen und Entzündungen lindern, und welche bei Arthritis hilfreich sind.« Leider ist noch kein Kraut gegen übellaunige Ehefrauen gewachsen, dachte er.
»Kannst du mir diese Pflanzen zeigen?«
»Sicher, wenn du willst.«
»Los, gehen wir«, sagte Carlotta und zerrte ihn von seinem Stuhl hoch.
18
»Ich kenne mich in der Gegend nicht so gut aus wie Gabriel, Liebes«, sagte Edgar. Während er sich durch den Busch kämpfte, der hauptsächlich aus dichtem Eukalyptusgestrüpp und kleineren krautigen Pflanzen bestand, hielt er nach Gewächsen Ausschau, die Carlotta von Nutzen sein könnten.
Edgar hatte seit ihrer Ankunft auf der Insel täglich einen Spaziergang unternommen, sich aber nie weiter als zwei Meilen vom Leuchtturm entfernt, weil er fürchtete, sich im Busch zu verlaufen. Er redete sich ein, er brauche die Bewegung, um in Form zu bleiben, damit er mit seiner jungen Frau mithalten konnte. Doch in Wahrheit flüchtete er meistens vor ihren Launen.
»Vielleicht hättest du Gabriel bitten sollen, dich zu begleiten«, fuhr Edgar fort. »Es war reiner Zufall, dass ich auf diese Arthritispflanze gestoßen bin.«
Carlotta hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als zuzugeben, dass sie Gabriel bereits gefragt, er ihr jedoch die kalte Schulter gezeigt hatte. »Vielleicht findest du ja noch etwas anderes«, erwiderte sie leichthin. Sie konnte ihre Gereiztheit nur mühsam verbergen. Edgar war belesen und kannte sich in vielen Bereichen aus, doch seine Bescheidenheit und sein mangelndes Selbstvertrauen machten sie rasend. Warum nur konnte er nicht selbstbewusst und überlegen sein – so wie Gabriel zum Beispiel? Sie brauchte nur daran zu denken, wie souverän dieser Mann war, und schon überlief sie ein erregendes Prickeln.
»Ich weiß noch gut, welche die allererste Pflanze war, die Wanupingu mir gezeigt hat«, sagte Edgar. Er hatte einen ihm unbekannten Weg eingeschlagen, einen Pfad, den Tamar-Wallabies, Warane und die auf der Insel heimischen Kängurus durchs Dickicht gebahnt hatten. Letztere waren kleiner und dunkler als ihre Verwandten vom Festland und hatten ein dickeres Fell. Aber auch Fuchskusus, Braune Kaninchenbeutler, Sumpfratten und sechs verschiedene Fledermausarten lebten hier. »Wanupingu beschrieb mir die Symptome der Krankheit, gegen die diese Pflanze half: geschwollenes, blutendes Zahnfleisch, Zahnausfall, Entzündungen und Steifheit in den Gelenken und schlecht heilende Wunden. Weißt du, welche Krankheit das ist?« Er blieb stehen und drehte sich zu Carlotta um, als sie nicht sofort antwortete. Er konnte nicht ahnen, dass sie ihre Ungeduld kaum zu zügeln vermochte. Sie wollte keinen Vortrag hören, sondern lediglich ein Kraut finden, das ihr helfen würde, sich die Zuchthäuslerin vom Hals zu schaffen.
»Skorbut«, fuhr Edgar fort. Carlotta verzog keine Miene. »Vor allem Seeleute, die wochen- oder monatelang unterwegs sind, erkranken daran. Wanupingu zeigte mir die Pflanze in der Nähe von Kalgoolie. Sie sei aber auch in Küstenregionen zu finden, sagte er. Wären die Matrosen an Land gegangen und hätten die Pflanze gesammelt und gegessen, hätte sie das vor der Krankheit bewahrt, bis sie ihre Vorräte an Obst und Gemüse ergänzt hätten. Die Pflanze hat zarte, spitze Blätter und eine kleine blaue Blüte. Vielleicht sehen wir eine. Das wäre ein kleines Wunder!«
Carlotta verdrehte gereizt die Augen. »O ja, und was für eins!«, bemerkte sie sarkastisch. Edgars
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