Die Insel der roten Erde Roman
fragte Lance, als er in der Mittagspause vorbeikam. »Du wirkst so grüblerisch.«
Sarah zögerte. »Ehrlich gesagt, bin ich nicht begeistert davon, die Zuchthäuslerin wiederzusehen«, sagte sie schließlich.
»Und warum nicht?«
»Ich fürchte, ihr Anblick ruft böse Erinnerungen an den Schiffsuntergang in mir wach – ausgerechnet jetzt, wo mich endlich keine Albträume mehr quälen.«
»Ihr habt gemeinsam eine Katastrophe überlebt, Amelia. So etwas verbindet«, gab Lance zu bedenken.
»So habe ich das noch gar nicht betrachtet«, erwiderte Sarah und dachte bei sich, wie gut es war, dass Lance nicht wusste, welche Verbindung tatsächlich zwischen ihr und der echten Amelia bestand.
»Mach dir keine Gedanken. Ich glaube nicht, dass du sie oft zu Gesicht bekommen wirst«, tröstete Lance.
Plötzlich schoss Sarah ein beängstigender Gedanke durch den Kopf. Die echte Amelia war bildhübsch. Ob Lance sich von ihr angezogen fühlen würde? Und wenn schon! Edna würde ihm niemals den Umgang mit einer Strafgefangenen erlauben.
Cape du Couedic
»Ich bin so froh, dass Milo wieder ganz gesund wird«, sagte Amelia zu Gabriel. Sie war damit beschäftigt, die Sachen der Kinder zu sortieren und in die alten Koffer zu packen, die Gabriel aus dem Vorratsraum geholt und zur Farm geschleppt hatte.
»Sissie erzählte mir, Milo sei schlecht geworden, nachdem er einen von Carlottas Keksen gegessen hat«, sagte er.
»Ja, das stimmt.«
»Mir ist die Sache nicht mehr aus dem Kopf gegangen«, fuhr Gabriel fort, »und dabei ist mir etwas eingefallen. Vor ungefähr einer Woche kam Carlotta auf eine merkwürdige Idee.«
»Und welche?«
»Sie interessierte sich dafür, ob es auf der Insel Pflanzen gibt, die sie in der Küche verwenden könnte.«
»Du meinst, sie hat etwas in die Kekse getan, ohne zu ahnen, dass es einem Kind nicht bekommt?« Amelia blickte Gabriel an. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, und sie riss erschrocken die Augen auf. »Du denkst doch nicht etwa, sie hat es absichtlich getan?«
»Was würde sie damit erreichen?«, murmelte er nachdenklich. Es erschien ihm unfassbar, dass Carlotta einem Kind vorsätzlich etwas antun würde. Sie war kein Lämmchen, aber konnte sie dermaßen kaltblütig und grausam sein?
»Dass Evan um der Kinder willen nach Kingscote zieht und ich mit ihnen gehe! Natürlich, das ist es! Es geht ihr nicht um Evan und die Kinder, es geht ihr darum, mich loszuwerden, und wir wissen beide, warum!«
Gabriel war entsetzt. Würde Carlotta tatsächlich so weit gehen? »Ich habe ihr nie irgendwelche Hoffnungen gemacht«, beteuerte er.
Amelia glaubte ihm. Er hatte nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen Carlotta gemacht. »Sollen wir es Evan sagen?«, fragte sie besorgt. »Er muss doch wissen, was die Krankheit seines Sohnes ausgelöst haben könnte.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Nein. Das erste Mal, als Milo Fieber bekam, hatte Carlotta nichts damit zu tun. Aber es könnte sie auf die Idee gebracht haben, mit ihrem Essen ein wenig nachzuhelfen, dass dem Jungen übel wird, denn kurze Zeit später fragte sie mich nach den Pflanzen. Also dürfte sie dafür verantwortlich sein, dass es Milo ein zweites Mal so schlecht ging. Das ändert aber nichts daran, dass das Leben hier draußen mit so vielen kleinen Kindern zu gefährlich ist. Auch wenn ich mir wünschte, die Finnlays würden bleiben, weil ich nicht will, dass du fortgehst.«
Später an jenem Tag kam Carlotta, ihren Korb in der Armbeuge, auf die Farm hinaus. Sichtlich beschwingt steuerte sie auf das Haupthaus zu. Bei ihrem Anblick gärte es in Amelia. Sie war allein im Haus. Evan war bei den Schweinen, und die Mädchen fütterten die Hühner.
»Wo sind denn die anderen?«, fragte Carlotta, als sie den Kopf zur Tür hereinstreckte und nur Amelia sah, die Gemüse putzte.
»Bei den Tieren.«
»Ich habe Brot für euch gebacken«, sagte Carlotta fröhlich und stellte den Korb auf den Tisch. Sie konnte es kaum erwarten, Gabriel für sich allein zu haben. Wenn ihn nichts mehr ablenkte, würde er binnen kurzer Zeit ihrem Charme erliegen, davon war sie überzeugt. Nicht mehr lange, und ihre Träume würden in Erfüllung gehen. Carlotta vermochte die Freude über ihren Triumph kaum zu unterdrücken.
»Sind wieder besondere Zutaten darin?«
Carlottas Augen wurden schmal. »Nein, wieso?«
»Sie scheinen sehr zufrieden mit sich, Carlotta«, fuhr Amelia fort. Eigentlich hatte sie nichts sagen wollen, aber jetzt, wo
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