Die Insel der roten Erde Roman
Carlotta könnte den Ring in einem der Koffer versteckt haben, die sie gepackt hatte. »Ich habe Ihren Ring nicht!« Amelias Stimme war schrill vor Erregung. Sie hatte das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein. Sie wusste, sie war unschuldig, aber würde man ihr glauben? War es damals, als man sie beschuldigt hatte, die Tochter ihres Arbeitgebers bestohlen zu haben, genauso abgelaufen? Sie sah Gabriel flehentlich an. »Ich habe Carlottas Ring nicht genommen«, beteuerte sie. »Ich schwöre es!«
»Ich glaube dir«, erwiderte er.
Amelia wandte sich an Edgar. »Ich habe den Ring wirklich nicht gestohlen! So etwas würde ich nie tun! Das müssen Sie mir glauben!«
Bevor Edgar antworten konnte, zischte Carlotta: »Einmal Diebin, immer Diebin! Deshalb warst du doch im Gefängnis, oder etwa nicht?«
»Ich kann mich aber nicht daran erinnern«, flüsterte Amelia unter Tränen. »Und ich würde Ihnen niemals Ihren Ring stehlen!«
»Die Sache ist bestimmt ein Missverständnis«, sagte Edgar beschwichtigend. Die junge Farmhelferin tat ihm Leid. Carlotta fuhr herum und starrte ihren Mann bitterböse an. Edgar duckte sich unwillkürlich.
»Ich verlange, dass sie verhaftet wird«, zeterte Carlotta. »Ich will, dass du die Polizei in Kingscote verständigst, damit sie wieder ins Zuchthaus kommt!«
»Liebes, bitte, beruhige dich!«, sagte Edgar mit hochrotem Kopf. »Wir werden deinen Ring suchen, ja?« Er legte seiner Frau die Hand auf den am Arm, doch sie riss sich los und kreischte: »Ich will, dass diese Diebin hinter Gitter kommt, wo sie hingehört!«
Edgar gab Gabriel und dem Mann an der Winde ein Zeichen, Amelia zum Anleger hinunterzulassen.
»Komm mit ins Haus, Carlotta!« Edgar zerrte sie entschlossen hinter sich her. Gabriel und Amelia staunten. Zum ersten Mal bot Edgar seiner Frau die Stirn, obwohl Carlotta tobte und ihren Mann mit unflätigen Ausdrücken beschimpfte.
Als die beiden im Haus waren, wandte Amelia sich Gabriel zu und versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen, was er dachte. »Du glaubst doch nicht, dass ich den Ring gestohlen habe?«
»Nein, natürlich nicht. Carlotta will dir nur Scherereien machen.«
Amelia brach in Tränen aus. »Warum muss ausgerechnet mir das passieren?«, schluchzte sie.
»Reg dich nicht auf, Sarah. Du kennst doch Carlotta. Sie unterstellt dir den Diebstahl bestimmt nur aus Eifersucht.«
Als Amelia sicher unten angekommen und an Bord des Schoners war, stieg Gabriel wieder den Steilhang hinauf und zog Evan mit der Winde nach oben. Dann eilte er zu seinem Cottage und packte hastig ein paar Sachen zusammen. Eine knappe halbe Stunde später verabschiedete er sich von Evan.
»Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich um deine Familie und das Vieh kümmern.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, Gabriel.« Es war Evan eine große Beruhigung zu wissen, dass Gabriel seine Familie nach Kingscote begleitete. »Was war denn vorhin da oben los? Warum hat Carlotta so herumgeschrien?« Trotz des Windes hatte er ihr Gekeife auf dem Schoner gehört.
Gabriel beschloss, ihm die Wahrheit zu sagen. »Sie hat Sarah vorgeworfen, sie hätte ihr einen Ring gestohlen. Aber Edgar ist sicher, dass Carlotta den Ring nur verlegt hat.«
»Und was glaubst du?« Evan sah ihn forschend an.
Gabriel blickte ihm in die klugen Augen. Versucht er herauszufinden, was ich für Sarah empfinde?, fragte er sich. Er hatte schon befürchtet, Evan könnte Verdacht geschöpft haben, was seine Beziehung zu Sarah anging. Sarah gegenüber hatte er nichts davon erwähnt, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. »Ich glaube, er hat Recht«, antwortete er. »Carlotta kann Sarah nicht ausstehen und will sie nur in Schwierigkeiten bringen.«
»Ausgerechnet jetzt? Ein merkwürdiger Zeitpunkt«, meinte Evan.
Gabriel überlegte, ob er mit offenen Karten spielen sollte. Er respektierte Evan als Freund, aber wie würde der Farmer reagieren, wenn er ihm eröffnete, dass er Sarah liebte? Er beschloss, Stillschweigen zu wahren. Sarah hatte schon genug Probleme.
Amelia war unterwegs sehr still. Gabriel fiel es zwar auf, doch er war zu sehr damit beschäftigt, nach dem Vieh zu sehen. Vor allem die Kuh hatte Mühe, sich auf dem schwankenden Schiff auf den Beinen zu halten, und brüllte zum Erbarmen. Zwei Stunden, nachdem die Ruby-Lee abgelegt hatte, brach die Dunkelheit herein. Der Wind flaute ab, und die See wurde ruhiger, wofür Mensch und Tier gleichermaßen dankbar waren.
Nachdem er noch einmal nach dem Vieh
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