Die Insel der roten Erde Roman
bedauert es sehr, aber er hatte eine Lungenentzündung und wird sich noch ein paar Wochen schonen müssen. Dieser Brief ist von seinem Sekretär. Er hat ihn gebeten, uns zu benachrichtigen, damit wir Bescheid wissen. Das ist sehr rücksichtsvoll von Brian, findest du nicht auch?«
Sarah stand da wie vom Blitz getroffen. Es ging aber auch wirklich alles schief! Amelias Erinnerungen kehrten zurück, und jetzt auch noch das: Sie würde das Erbe nicht so schnell wie erhofft antreten können. »Hat er denn keinen Stellvertreter, der das für ihn erledigen kann?«, fragte sie mit einem Anflug von Verzweiflung.
Charlton schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein. Brian ist derjenige, der sich in den Angelegenheiten deiner Eltern am besten auskennt. Tut mir Leid, mein Kind. Ich weiß, du möchtest das alles so schnell wie möglich hinter dich bringen, damit du ein für allemal mit der Vergangenheit abschließen kannst. Aber deine Verlobung mit Lance wird dich sicher ablenken, nicht wahr? Wer weiß, vielleicht ist diese Verzögerung gar nicht so schlecht. Dann kannst du dir in Ruhe überlegen, was du mit deinem Vermögen anfangen willst.«
Sarah zitterte am ganzen Leib. Hätte sie nicht befürchten müssen, dass Amelia ihr Gedächtnis wiedererlangte, hätte sie in aller Ruhe abwarten können, bis der Nachlass geregelt war. Und in der Zwischenzeit hätte sie vielleicht Lance für sich eingenommen. Aber so?
»Ich leg mich ein wenig hin, Onkel«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
»Ist gut, Liebes. Soll Polly dir einen Tee bringen?«
»Nein, danke. Ich trinke später eine Tasse.« Ihre Gedanken kreisten um Amelia. Sie musste etwas unternehmen, und zwar bald. Sie musste nachdenken, sich einen Plan zurechtlegen, und dabei wollte sie weder von Polly noch sonst jemandem gestört werden. Warum kann in meinem Leben nicht ein einziges Mal etwas nach Wunsch verlaufen?, dachte sie.
32
Nach dem Mittagessen verließ Sarah das Haus. Sie hatte keinen Bissen angerührt. Als sie Amelia im Garten arbeiten sah, ging sie kurz entschlossen zu ihr. Sie musste wissen, ob ihr noch mehr aus der Vergangenheit eingefallen war.
»Hallo, Sarah«, sagte sie und versuchte, ihre Nervosität zu unterdrücken. »Wie war Ihr Tag?«
Wäre Amelia mit ihren Gedanken nicht woanders gewesen, hätte sie sich vielleicht darüber gewundert, dass eine vornehme Lady ihr, einer Farmhelferin, diese Frage stellte. »So weit ganz gut«, murmelte sie zerstreut, während sie mit einer Hacke dem Unkraut zu Leibe rückte.
»Wirklich? Sie sehen aus, als hätten Sie sich stundenlang das Hirn zermartert.«
Amelia hielt inne. »Sie haben Recht. Andauernd geht mir ein Name durch den Kopf, aber ich komme nicht darauf, welche Bedeutung er für mich hat.«
Sarah stockte der Atem. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Ein Name? Was für einer?«
»Moorcroft. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Orts- oder ein Personenname ist.«
Aber Sarah wusste es: Moorcroft hieß das Anwesen der Divines in Hobart. Der Name tauchte immer wieder in Amelias Tagebuch auf. »Noch nie gehört«, log sie und zuckte die Achseln.
In diesem Moment rannte Milo an Amelia vorbei. Er hielt irgendeinen spitzen Gegenstand in der Hand und jagte damit hinter Jessie her. »Marcus!« , rief Amelia streng. »Komm sofort her!« Der Junge blieb stehen und bedachte sie mit einem merkwürdigen Blick. Amelia streckte die Hand aus, und er gab ihr den Stock, den er in den Fingern gehalten hatte. »Das ist gefährlich!«, schalt sie. »Du könntest dir oder deiner Schwester damit wehtun. So, und jetzt lauf!« Milo sauste schnell weiter.
»Oh!« Amelia schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Ich habe gerade Marcus zu Milo gesagt, nicht wahr?«
»Ja«, stieß Sarah hervor. Sie hatte panische Angst, was als Nächstes kommen würde.
»Das ist mir schon ein paarmal passiert«, sagte Amelia verwundert. »Ich weiß gar nicht, wieso. Milo muss mich an einen Jungen erinnern, der Marcus heißt. Wenn ich nur wüsste, wer das war!«
Alle Farbe war aus Sarahs Gesicht gewichen. Sie musste handeln. Sie durfte nicht länger warten. Amelia erinnerte sich an immer mehr Einzelheiten. Sarah war sich nicht sicher gewesen, ob es nötig war, so rücksichtslos vorzugehen, wie ihr Plan es vorsah; aber jetzt wusste sie es. Die Sache duldete keinen Aufschub. Sie musste etwas unternehmen, und zwar noch heute.
»Ich wollte Evan fragen, ob er etwas dagegen hat, dass Sie mich heute Nachmittag auf einen kleinen
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