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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Großmutter Alicia in einem Silberrahmen. Die Ähnlichkeit ist wirklich frappierend.
    »Die Leute behaupten, ich sei eine Porfirio-Anhängerin, wie mein Großvater, der in Porfirio Díaz’ Streitkräften gekämpft hat. Es stimmt, dass ich mich nach der Vergangenheit zurücksehne und dass mich die Politik von heute nicht interessiert. Aber ich bin nicht rückständig. Was für Widersprüche doch jeder mit sich herumträgt. Zum Beispiel mein Großvater, der ja eigentlich Franzose war, oder zumindest der Sohn von Franzosen, hat sein Leben gelassen, um Mexiko ein Stück seines Territoriums zu erhalten, und heute ist nach vielen Wendungen genau dieses Teilchen unseres Vaterlandes ausgerechnet in französischer Hand. Weil er sein Blut dafür gegeben hat, deshalb findet meine Familie keine Ruhe und wird sie nicht finden, ehe Clipperton wieder mexikanisch ist.«
    Ihre Haustür besteht aus zwei Flügeln, jeder mit einem bernsteinfarbenen Fenster. In dem hereinfallenden Licht sagt mir María Teresa Arnaud de Guzmán Lebewohl und gibt mir eine Warnung mit auf den Weg:
    »Und Sie wollen sich also mit Clipperton einlassen? Sie wollen wirklich den Spuren der damaligen Tragödie nachgehen? Sie wollen sich aufrichtig nach der ganzen Liebe und der ganzen Trostlosigkeit dieses kargen Felsstücks mitten im Pazifik auf die Suche machen? Dann hören Sie gut zu und lassen sich eins gesagt sein. Die Insel hat nicht immer Clipperton geheißen, ihr ursprünglicher Name war Isla de la Pasión , und wer sie so getauft hat, der wusste genau, warum. Wer sich mit ihr einlässt, der leidet. Unter ihr tut sich ein Meer voller Schmerzen auf.«
    Señora María Teresa Guzmán, Enkelin der Arnauds aus Orizaba, begleitet mich im gehobenen Wohnviertel San Ángel von Mexiko-City an die Haustür. Sie stellt sich vor die Glasfenster. Das Licht von draußen verleiht ihrer Haut einen seltsam alabasterartigen Schimmer. Und sie fügt etwas hinzu:
    »Ich möchte noch eine Sache klarstellen: Meine Großmutter und ihre Schwestern haben tatsächlich vor der Hochzeit monatelang gehäkelt, sie widmeten viele Stunden des Tages dieser Handarbeit. Aber ein gehäkeltes Brautkleid, nein, das gab es nicht. Sie haben die Weißwäsche mit Häkelspitze versehen, Bettwäsche, Handtücher, Tischdecken, Servietten für den Haushalt auf der Insel. Sogar das berühmte heilige Laken mit dem Loch in der Mitte, das zur damaligen Zeit beim Vollzug der Ehe verwendet wurde, haben sie mit einer Bordüre umgeben. Sie haben sehr geschickt gehandarbeitet und alles mit den Initialen der Braut gezeichnet A.R. de A. Daher Ihre Verwechslung. Das ist der Grund, weshalb mein Vater und ich es nicht mögen, wenn jemand, der nicht zu uns gehört, unsere Geschichte erzählt. Der redet dann über etwas, was er nicht weiß, und bringt Versionen in Umlauf, die unwahr sind.«

Orizaba
    – heute –
    Alicia Arnaud sitzt in der Küche der Pension Loyo und entsinnt sich der grauen Perlenkette, die ihr Vater der Mutter aus Japan schickte:
    »Ich erinnere mich an meine Mutter, als sie die Kette trug. Sie hat sie gestreichelt, wenn sie von Papa sprach und uns erzählte, was passiert war. Ich habe keine blasse Ahnung, wer sie jetzt hat. Als Mama starb, kamen wir zu Tante Adela Arnaud, der Schwester von meinem Vater. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten wir ins Waisenhaus gemusst. Wir haben nie erfahren, was aus den Sachen meiner Mutter geworden ist, aus dem, was sie hinterlassen hat, als sie starb. Keine Ahnung, wer die Kette haben könnte, aber ich sehe sie ganz deutlich vor mir, als wäre sie noch da.«
    In Bezug auf Clippertons Geschichte gewinnt die graue Perlenkette, neben ihrem emotionalen Wert, eine gewisse politische Bedeutung: Sie ist das einzige Zeugnis von Ramón Arnauds Japanreise. Soweit bekannt, weihte er nämlich niemanden in den Anlass jener Reise ein und hinterließ auch nichts Schriftliches darüber.
    »Wir haben nie erfahren, wozu er dahin gefahren ist. Ich glaube, das hat er noch nicht mal meiner Mutter erzählt«, sagt Alicia Arnaud, verwitwete

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