Die Insel des Mondes
einem Lamba bekleideten Merina, denen sie bisher begegnet waren, trugen diese Männer weiße Hosen und Jacken, die vorn mit drei dicken goldenen Knöpfen geschlossen waren. Um die Taille war ein breiter Ledergürtel geschlungen, der mit einer großen viereckigen silbernen Schnalle zusammengehalten wurde. Im Gürtel steckten Pistolen und Messer. Einige Männer trugen über dem Hemd noch den allgegenwärtigen Lamba wie einen Umhang.
Noria stand im Regen und sprach mit dem einzigen, der eine Mütze trug, die Paula an einen Schiffskapitän erinnerte. Und eben gesellte sich Villeneuve, allerdings nur halb angekleidet, dazu. Paula betrachtete seinen nackten Oberkörper, der ebenso breit und mächtig war wie der von Lázló. Aber Villeneuve wirkte nicht wie eine Marmorstatue, denn seine Brust war mit dunklen Haaren übersät, aus denen der immer noch herunterprasselnde Regen tropfte. Um den Hals trug er die Goldkette mit dem dicken silbernen Kreuz. Als er anfing zu reden, bewegte er seine muskulösen Arme, und dabei bildeten sich tiefe Einbuchtungen an seinen Schlüsselbeinen, die das Kreuz hin und her rutschen ließen, was wiederum eigenartige Gefühle in Paula auslöste. Und als sie deshalb wegschaute und ihr Blick auf seinem glatten Bauch landete, war sie gerührt von der Form seines Bauchnabels, der sie an italienische Tortellini erinnerte, die sie einmal mit ihrem Vater am Gardasee gegessen hatte. Alles, was sie da sah, gefiel ihr, und genau das war ihr peinlich, und deshalb gab sie sich einen Ruck und wandte ihre Augen zu Noria. Sie verließ das Zelt, winkte den beiden und lief dann durch den strömenden Regen zu ihnen. Als Villeneuve sie bemerkte, verschwand er hastig in seinem Zelt. Nicht schnell genug, dachte Paula und lächelte bei dem Gedanken, dass es ihm vielleicht auch peinlich war, halb nackt von ihr gesehen zu werden.
Als sie Noria erreicht hatte, hörte der Regen schlagartig auf, die hervorbrechende Sonne verdampfte sofort das Wasser in den Pfützen, und es wurde unerträglich schwül.
Noria schüttelte ihre nassen Haare wie ein Hund sein Fell und strich sie dann sorgfältig zurück. Paula beneidete sie um ihre kurzen Haare, die für Merinafrauen ungewöhnlich waren. Die meisten trugen akkurat geflochtene, komplizierte Frisuren, die man dann tagelang nicht zu kämmen brauchte. Paula wünschte sich so eine Frisur, denn der Mut zum Abschneiden fehlte ihr noch. Noria brachte Paula einen Becher Tee und zeigte dann auf den halbrunden Durchgang in der Mauer, der nun offen war, was Paula angesichts des Regens und Villeneuves nacktem Oberkörper völlig entgangen war.
»Die siebzig Soldaten der Königin haben den Stein, der das Tor versperrt, weggerollt, und damit ist der Weg nun frei für uns.«
Villeneuve war zurück, jetzt mit einem frischen Leinenhemd und nassen, aber gekämmten Haaren. Noria wandte sich an ihn. »Ich brauche eine Bestätigung für die Soldaten, dass Ihr wirklich Gesandte des Kaisers seid.«
»Ich hole den Brief gern, aber ich darf kein Risiko eingehen und ihn aus der Hand geben. Wir haben den Befehl, ihn Ranavalona II. persönlich zu überreichen.«
Noria überlegte kurz, dann rief sie den Soldaten mit der Kopfbedeckung zu sich und erklärte ihm, was Villeneuve gesagt hatte. Der Mann betrachtete sie misstrauisch, nickte dann aber und blies in das Horn eines Zebus, was sich als Zeichen zum Aufbruch für seine Soldaten herausstellte. Die Träger begannen die Zelte abzubauen.
Endlich durften sie in das Innere von Ambohimanga. Die nasse Erde klebte bei jedem Schritt an Paulas Füßen, aber es machte ihr nichts aus, denn sie war viel zu neugierig auf das, was sich hinter der Mauer verbarg.
Paula lief zusammen mit Noria durch das Tor und war zu nächst etwas enttäuscht. Hier befanden sich nur kleine Wohn häuschen aus Ziegelstein, und einige Einwohner verkauften auf ihren winzigen, überdachten Terrassen Bananen und Pampelmusen, Maniok und Zweige mit rotem und schwarzem Pfeffer, außerdem verschiedene Sorten Reis und Fleisch.
Die festgetretene rote Erde glänzte nun schon trocken und wie poliert in der Sonne und wirkte fast wie eine steinerne Straße, von denen Paula aber auf Madagaskar noch nie eine gesehen hatte. Die Straße stieg steil an und schraubte sich immer weiter den Berg hinauf, bis sie vor einem riesigen Eisentor wieder endete. Dort warteten sie auf die Männer und die Träger. Noria warf ihr einige Male einen merkwürdigen Blick zu, und Paula hatte große Angst, dass Noria
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