Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
sich da am Horizont in lustvollen Metamorphosen verdichtete und wieder auflöste, für ihn zum Anagramm eines anderen Körpers geworden war, den er gerne besessen hätte; und da die ferne Küste ihn lockend anlächelte, hätte er sie gerne erreicht und sich mit ihr vereinigt, seliger Zwerg auf dem Busen jener anmutigen Riesin.
Es war jedoch nicht die Scham, glaube ich, sondern die Angst vor zu hellem Licht, die ihn schließlich wieder hineintrieb – und vielleicht auch noch ein anderer Ruf. Er hatte nämlich die Hennen gehört, die eine neue Lieferung Eier meldeten, und da war ihm die Idee gekommen, sich für den Abend ein Hühnchen am Spieß zu genehmigen. Erst einmal nahm er sich aber die Zeit, sich mit der Schere des Kapitäns den Bart und den Schnurrbart zu stutzen und die Haare zu schneiden, die er immer noch wie ein Schiffbrüchiger trug. Er beschloss, seinen Schiffbruch wie einen Urlaub auf dem Land zu verbringen, wie eine Sommerfrische, die ihm eine lange Reihe von prächtigen Dämmerungen, Morgenröten und (er freute sich schon darauf) Sonnenuntergängen versprach.
So kam es, dass er erst knapp eine Stunde, nachdem er die Hennen hatte gackern hören, ins Unterdeck stieg, wo er jedoch gleich feststellen musste, dass, wenn sie Eier gelegt hatten (woran ihr Gackern keinen Zweifel ließ), nirgendwo welche zu sehen waren. Und nicht nur das, alle Vögel hatten auch frische Körner, ordentlich verteilt, als hätten sie noch gar nicht darin gescharrt.
Von einem Verdacht erfasst, eilte Roberto zu den Pflanzen zurück, um dort zu entdecken, dass die Blätter wie am vorigen Tag und auch schon am Tag davor von Tau glänzten. In den Kelchen der Glockenblumen stand klares Wasser, die Erde an den Wurzeln war feucht und der Matsch noch matschiger: Jemand musste in der Nacht hergekommen sein, um die Pflanzen zu gießen.
Seltsamerweise war Robertos erste Regung ein Anflug von Eifersucht: Jemand hatte Macht über sein Schiff undentzog ihm die Sorgen und die Vorteile, auf die er ein Recht hatte. Die Welt zu verlieren, um ein verlassenes Schiff zu erobern und dann feststellen zu müssen, dass ein anderer darin wohnte, erschien ihm so unerträglich wie der Gedanke, dass seine Signora, das unerreichbare Ziel seiner Wünsche, einem anderen anheimfallen könnte.
Dann überkam ihn eine vernünftigere Verwirrung. Wie die Welt seiner Kindheit von einem anderen bewohnt war, der ihm ständig vorausging oder ihm folgte, so hatte offensichtlich die Daphne irgendwo Untergründe und Winkel, die er noch nicht kannte und in denen versteckt ein blinder Passagier lebte, der dieselben Wege wie er ging, immer kurz vor oder nach ihm.
Erschrocken lief Roberto in seine Kajüte, um sich seinerseits zu verstecken, wie der Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt im Glauben, die Welt sei verschwunden.
Unterwegs kam er an einer Treppe vorbei, die in den Kielraum hinunterführte: Was mochte dort unten verborgen sein, nachdem sich im Unterdeck schon eine Insel im kleinen befand? War dort das Reich des Eindringlings? Man beachte, dass Roberto das Schiff bereits wie ein Liebesobjekt behandelte, bei dem man, kaum dass man es entdeckt hat und sich gewahr wird, dass man es begehrt, alle anderen, die es zuvor besessen haben, als Usurpatoren betrachtet. An diesem Punkt gesteht er denn auch seiner Signora in einem Brief, dass er, als er sie das erste Mal sah – und er hatte sie genau darum erblickt, weil er dem Blick eines anderen gefolgt war, der sich an sie geheftet hatte –, den Abscheu dessen empfand, der eine Raupe auf einer Rose erblickt.
Man möchte lächeln über solch einen Anfall von Eifersucht auf einen Schiffsrumpf, der nach Fisch und Ausdünstungen und Kot stinkt, aber Roberto war schon dabei, sich in einem unbeständigen Labyrinth zu verlieren, in dem ihn jede Verzweigung nur immer wieder zu demselben Bild führte. Er litt sowohl wegen der Insel, die er nicht hatte, als auch wegen des Schiffes, das ihn hatte: Beide waren für ihn unerreichbar, die Insel wegen ihrer Entfernung, das Schiff wegen seines Rätsels, aber beide standen für eine Geliebte, die ihm auswich, indem sie ihn mit Versprechungen umschmeichelte, die er allein sich gab. Anders wüsste ich nichtdiesen Brief zu erklären, in dem Roberto sich in wohlgesetzten Klagen ergeht, nur um letzten Endes zu sagen, dass ihm jemand sein Frühstück weggeschnappt hatte:
Signora,
wie kann ich Gnade erwarten von der, die mich zerstört? Und doch, wem sonst, wenn nicht Euch, kann
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