Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
Vom Netzwerk:
schickte er mir die Kassetten zurück, damit ich nicht erst welche auftreiben musste.
    Nie wird er den warmen Ozean sehen.
    37 1998 [Anm.d.Ü.]
    38 Ist aushaltbar, der Schmerz.
    39 Hab mir (auch) das Gelenk verstaucht.
    40 »Wissen ist Macht«, eine populärwissenschaftliche Zeitschrift mit Literaturteil, erscheint seit 1926. [Anm.d.Ü.]
    41 Die sterblichen Überreste Blaise Pascals, der am 19. August 1662 in der hiesigen Gemeinde von Sainte-Étienne-du-Mont starb, wurden neben dieser Säule beigesetzt.
    42 Kette aus tordiertem Golddraht, Armbänder aus Gold, goldene Spiralarmreife, Goldrose auf blutrotem Grund.
    43 glänzendes Silber.
    44 Flanieren und kaufen.

Der Wind
    Wie von Alik angekündigt schlug das Wetter um. Als wir von Jegors Balok auf brachen, roch die Tundra ringsumher nach aufgeheizter Erde, nach verwesenden Pflanzen, warmen Gräsern, Blüten. Die Sonne, der es nicht jedes Jahr beschieden ist, in diesen Gegenden mit vergleichbarer Kraft zu scheinen, hatte alles Lebendige aufgeheizt, und in den drei Stunden, die wir durch ein sumpfiges Tal Richtung »Siebenkopf«, Semigolowaja bzw. Siw Ewak, liefen, waren wir über und über mit Mücken besät, die zu Millionen aus dem Gras aufschwirrten. Das mit dem Schweiß herabtriefende Mückenschutzmittel brannte in den Augen wie Säure, die Windjacken, deren Kapuzen wir eng ums Gesicht gezogen hatten, waren selbst auf Brust und Bauch klatschnass, und bis wir auf einen Kamm gerieten, wo ein Lüftchen die Insekten wenigstens ein bisschen verscheuchte, schien es, diese Stechfolter nähme nie ein Ende.
    Die Erhebungen von Kolgujew sind sehr schön und sehen von fern wie echte Berge aus. Ich watete durch die schmatzende Tundra und tastete mit begeistertem Auge die uralte Umrisslinie des Siw Ewak ab, der sich grandios über die ebene Tundra erhob wie der Beschtau über die kaukasische Steppe. Nicht sofort erschließt sich einem der Unterschied im Maßstab. Wie üblich wirkt er erst einmal zum Hingreifen nah. Dann stellt sich heraus, von wegen, und du läufst und läufst und der Berg rückt nicht näher, du steigst in eine Senke hinunter und wieder hinauf auf einen Kamm, der der letzte zu sein schien – aber hinter ihm tut sich das nächste Tal auf, mit kleinen Seen, Mooren und noch einem Flüsschen, eine Wegstunde breit. Die Horizontale zieht sich wie Kaugummi, und erst, wenn du endlich aus dem Labyrinth der Moortundra herausgefunden hast und unterhalb des »Berges« stehst, siehst du, wie niedrig er ist. Die Ebenheit von Kolgujew übertreibt auf unglaubliche Weise jede Vertikale, und ein Hundertfünfzig-Meter-Hügelchen, auf das du, rucksacklos, hinaufrennen kannst, ohne aus der Puste zu geraten, zieht wie ein Fokus sämtlichen Raum im Umkreis von vielen Kilometern auf sich.
    Am Semigolowaja beschloss ich, mein vom Schweiß klatschnasses Unterhemd zu wechseln, und war noch unentschieden, ob ich einen Pullover unter die Windjacke ziehen sollte. Beim Abstieg dann pfiff der Wind schon so heftig, dass ich schleunigst die wattierte Jacke aus dem Rucksack holte – das war bestenfalls fünfzehn, zwanzig Minuten später. Und wir hatten noch Glück, weil die Gewalthaufen der einfallenden Böen des Nordwinds seitlich an uns vorbeijagten. Von oben hatten wir freie Sicht. Alles lag offen da. Das Meer, von dem wir uns weit entfernt zu haben schienen, und der »Krumme See« – eine trügerisch nahe Bläue in den grünen Falten der Tundra – und die ebenso trügerisch-nahen Saudy, Ostryje Sopki, über denen bereits eine sich speerförmig nach Süden ausbreitende dunkle Wolke aufgezogen war.
    »Schnee«, sagte Alik.
    Es war, als habe jemand das Sonnenlicht gedimmt und die Luft ringsumher sich mit Blau vollgesogen. Dann begann der Wind zu tosen – und ich spürte, wie seine Pfeile mich durchbohrten. Wir rannten den Hügel hinab und konnten vor dem Einsetzen des Regens noch ein Feuer machen und uns einen Tee kochen. Das Wasser schöpften wir aus einem merkwürdigen See, der
immer nach Fisch riecht
; aber schnell hatten wir nichts mehr von diesem nach dicker Fischsuppe riechenden Gebräu, denn schon klopften hell die ersten Tropfen auf die am Boden liegenden Rucksäcke und unsere noch trockenen Jacken; wir mussten schleunigst Kringel und Rosinen mit dem heißen Trank hinunterspülen und auf brechen – denn bei diesem Wetter brauchten wir am Ende des Tages ein vernünftiges Nachtlager.
    Wir mussten es zu den Rentierhirten schaffen.
    Petka und ich gerieten zum ersten Mal in den

Weitere Kostenlose Bücher