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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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des Todes oder die sinnlosen Klagen der Überlebenden? Die Sonne, die gleich einem Fisch im weiten Himmelsraum ihre Kreise zieht, oder der graue Lehm, oder der Abdruck eines rostigen Gewehrlaufs im Leichentuch aus grünem Moos; ein nenzisches Lied, das ein Alter mit braunen Zähnen heiser singt, der Schrei des Seetauchers, der von Regen kündet, der Schrei der Möwe, der von Hunger kündet, oder das nächtliche Knarren der Holzpflasterung unterm Schritt eines Säufers, der seine ewige Runde dreht auf der Suche nach einem Schlückchen Hochprozentigen, das sich versteckt, für ihn versteckt unter Schichten aus menschlichem Geiz und Betrug; oder unsere eigenen Schritte, die Schwere unserer Schritte, unser Atem, heiß, pfeifend wie bei erschöpften Pferden, unser bitterer Schweiß, und das Salz unseres Schweißes, das sich auf den Kleidern absetzt, unsere Augen, die geschlossen sind wie die von Toten? – Ich weiß es nicht. Und keiner weiß es. Und deshalb kann ich über das Ziel unserer Expedition auch nichts Bestimmtes sagen: Es wird auftauchen, wenn alles, was uns widerfährt, alles, was zu erleben uns bevorsteht, unsere Gefühle bis zu spiegelnder Klarheit poliert haben wird. Und dann werden Sie sehen, was das Ziel war: Spiegelung.
    Im Hubschrauber hatten auch zwei Mitarbeiter der Gebietsverwaltung für innere Angelegenheiten gesessen. Sie sollten ein unglaubliches Geflecht aus Besäufnissen, Handgreiflichkeiten, inner- und zwischenfamiliären Krächen, Inzest, minderschwerem Diebstahl, Denunziation und anderen skandalösen Vorfällen entwirren, die für sich genommen vielleicht noch nicht justiziabel, aber doch ein klarer Hinweis darauf waren, dass es zwangsläufig zu einer Straftat kommen musste, insofern einige Personen männlichen wie weiblichen Geschlechts infolge anhaltenden Genusses geistiger Getränke nicht nur das Vermögen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, sondern auch jede Vorsicht eingebüßt und alle aufrichtigen Warnungen des nüchternen Teils der Bevölkerung in den Wind geschlagen hatten. Im Kern ging es um eine große Partie Sprit, die ein gewisser Unternehmer im selben Sommer auf die Insel geliefert und der Obhut des schwer trunksüchtigen Oleg A. anvertraut hatte, der die Ware umgehend unterschlug und sich mit Freundin in die Tundra absetzte, so dass der dieserart hintergangene vertrauensselige Unternehmer mitansehen musste, wie der Defraudant, jeden Interessenten großzügig mit »Abgezweigtem« bewirtend, sich tagtäglich mit seinen einschlägigen Freunden die Kante gab. Die Inselorgane verfügten nicht über ausreichend probate Mittel, um die Säufertruppe zur Raison zu bringen und das Leben wieder in normale Bahnen zu lenken, obwohl Nikolaj Odinzow, der sonst ohne fremde Hilfe mit der dorfinternen Dynamik zurandekam, titanische Anstrengungen unternommen hatte. Zuletzt wurde aus den Jagdbaloks in der Tundra von der Jugend alles herausgeklaut, was nicht niet- und nagelfest war: So etwas hatte sich auf Kolgujew noch nie zugetragen.
    An diesem ausweglosen Punkt wurden die beiden Bevollmächtigten der Innenbehörde nach Bugrino beordert. Da ihnen ein umfassendes Bild des über die Insel gekommenen Unheils fehlte, ahnten sie natürlich nicht, welch hohe moralische Mission ihnen zugefallen war. Und so hörten sie sich in einem vollgeräucherten Büro einfach den ganzen Tag hindurch nacheinander eine Vielzahl von seit langem unter Strom stehenden Männern an, die gezwungen waren, sich nüchtern und reumütig zu geben, wobei sie diese ihre Reuebekundungen, jede Logik missachtend, mit wirren, eindeutig erlogenen Geschichten verwoben und jedwede Beteiligung an den Untaten der anderen abstritten.
    Die Übeltäter wurden einzeln ins »Verwaltungsgebäude«, jenen kolossalen architektonischen Zwitter aus Tschum und Isba, bestellt und im hinteren Zimmer des ehemaligen Dorfsowjets und jetzigen Gemeinderats vernommen. Die Befragung lief gerade, als Pjotr und ich die Räumlichkeiten betraten, um uns der neuen Vorsitzenden Alexandra Alexandrowna Odinzowa vorzustellen, einer sehr klugen, gutherzigen Frau mit dem ovalen Gesicht der Nenzen und einer russischen Statur, und ihr das uns von Korepanow ausgestellte Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Beim Hereinkommen bemühten sich die Übeltäter, nüchtern und kläglich zu erscheinen, ihr vor der Zeit gealtertes Gesicht sah schuldbewusst aus und wurde noch jämmerlicher, sobald sie durch die unverschlossene Tür einen Blick in das rückwärtige Zimmer

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