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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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mal zu einer Geschichte über die alten Zeiten aufgelegt, der Sohn dagegen, Alik, verschlossen, schweigsam, viel und zornig rauchend. Und dann war da noch ein Bursche, vielleicht sechzehn, Ljoka. Der flößte mir irgendwie besonders Angst ein – ich habe nie ein Wort aus seinem Mund gehört und kriegte nie seine Augen zu fassen: sie verschwanden unter langen schwarzen Zotteln, so dass nur manchmal ein finsterer Glanz wie aus einem Tierauge hervorblitzte. Außerdem hat er die ganze Zeit sein Messer geschärft. Ein Kerl, der schweigt, finster dreinschaut, sein Messer schärft. Und weiß der Teufel was im Schilde führt. Manchmal dachte ich, er will mir die Kehle durchschneiden, denn ich hatte noch nichts begriffen. Aber nachdem ich beinah das Dieselöl getrunken hätte, wurden sie freundlicher, begriffen, auch Moskauer sind im großen Ganzen doch normale Menschen. Und einer von den Brigadierhelfern, Andrej Apizyn – ein toller Kerl, fröhlich, geschickt, unermüdlich und entsprechend flink im Umgang mit den Renen –, Andrej Apizyn, erinnere ich mich, fragte auf einmal:
    »Na, wie stehts bei euch in Moskau mit dem Barabaschka?«
    Woher hatte er von diesen Poltergeistgeschichten gehört? Jetzt ist das alles vorbei und vergessen, aber damals grenzte die Barabaschka-Manie schon an eine Psychose.
    Danach fing ich mich mehr oder weniger wieder. Und als ich am nächsten Morgen aus dem Balok sah, wusste ich plötzlich, was mich die ganzen zwei Tage bedrückt hatte: der Schmutz. Kippen, Blechbüchsen, Knochen, Fellstücke, Scherben … Der Anblick war mir dermaßen unerträglich, dass ich einen Spaten aus dem Geländefahrzeug holen ging und eine Abfallgrube auszuheben begann.
    Beim Schaufeln spürte ich, wie die Spannung stieg: hinter mir Männer, die zuguckten. Dann stellte sich Jegor neben mich, der Brigadier, steht da und guckt. Dann auch die Kinder. Ich drehte mich nicht um. Schaufelte einfach schweigend weiter. Und basta. Es ging ums Prinzip. Es ist nämlich so, dass zur Nomadenzeit für die Sauberkeit im und um den Tschum die Frauen zuständig waren, weshalb ich mit der Müllgrube gewissermaßen eine Frauensache angepackt hatte. Vielleicht erniedrigte ich mich ja damit in den Augen der Brigade, denn in der traditionellen Gesellschaft wurde die Aufteilung in Männer- und Frauenarbeit strikt eingehalten. Gottseidank war der Boden leicht: Sand, und ich konnte einen halben Kubikmeter ausheben, ohne verschnaufen zu müssen; ich sah mich kein einziges Mal um, und als ich fertig war, stieß ich einfach den Spaten in den Grund und ging – noch immer ohne mich umzusehen – zum Bach, zog mich aus, badete. Hielt die Pause durch. Und wie ich zurückkomme, sehe ich Iona, der eine Konservenbüchse auf hebt und in die Grube wirft. Nach ihm auch die Jungs, und alle, die herumstanden, alle hoben etwas auf und warfen es in die Grube. Und Demjan, unser Koch, fegte um die Feuerstelle herum und vor dem Eingang zum Balok. Da wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte. Ich hob noch eine vermoderte Zeltplane, verrostete Büchsen, von den Hunden entrolltes Gedärm auf, warf alles in die Grube: Binnen kurzem war sie bestimmt halbvoll.
    Grigori Iwanowitsch beobachtete das Treiben aufmerksam. Dann fragte er, und es klang irgendwie entschuldigend:
    »Wahrscheinlich ists überall so?«
    »Nein, nicht überall«, erwiderte ich, der aufgestauten inneren Anspannung wegen etwas schroff.
    Und eben deshalb nahm ich an, dass Grigori Iwanowitsch sich an mich erinnerte.
    Wenn ich nicht sicher gewesen wäre, dass Andrej Apizyn mit den Rentierhaltern in der Tundra sein musste, hätte ich im Dorf vermutlich ihn gesucht und gebeten, uns zu führen. Aber jetzt ging es nicht darum, wählerisch zu sein.
    »Grigori Iwanowitsch?«
    Er bleibt stehen, schaut, wie ich quer durch den Morast vor dem Verwaltungsgebäude auf ihn zulaufe, versucht mich einzuordnen … Etwas in seinem Gesicht verrät, dass sein Gedächtnis sich sofort eingeschaltet hat, aber auf Anhieb keine möglichen Orts- und Zeitumstände einer Bekanntschaft findet. Dann löst sich schattengleich die Zerstreutheitsmaske ebenso unvermittelt ab: Gleich – gleich hat ers, er braucht nur noch ein, zwei Stichworte, vielleicht nur den Klang meiner Stimme, damit jede Einzelheit unserer Begegnung wieder vor ihm steht.
    »Bei der Herbstzählung … vor zwei Jahren … da habe ich Fotos gemacht …«
    »Ach ja!« Grigori Iwanowitsch freut sich so aufrichtig, dass es mich dann doch verblüfft. Aber freue

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