Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
bringen, hinter der Koschka rum? Ist das weit?«
»An die sechzig Kilometer. Aber ihre Dora scheint gerade auch nicht flott zu sein …«
So, die Dora ist also auch nicht flott. Als ich das erste Mal auf der Insel war, funktionierte noch alles, obwohl Bugrino ehrlich gesagt keinen erfreulichen Anblick bot. Was ist da los, verdammt?
»Und mit einem Motorboot?«
»Mit einem Motorboot wagt sich keiner raus hinter die Koschka, die See ist da zu rau. Früher mit einer Karbasse, da ging das …«
Da durchfuhr mich ein zündender Gedanke:
»Und wenn sie uns direkt auf der Koschka absetzen? Die ist eben und flach, das wären vielleicht dreißig Kilometer zu laufen, für uns zu schaffen an einem Tag …«
»Sofern sie euch hinterm Promoj absetzen.«
»Meinetwegen.«
»Bloß gibts da Untiefen, ist schwer, an die Koschka ranzukommen, könnte sein, dass euch niemand rüberbringen will …«
»Wäre ja nicht umsonst …«
»Aber vor allem kann die Koschka stellenweise überspült sein, das ist jedes Jahr anders … Dann kommt man da nicht weiter, da bilden sich tiefe Wasserlöcher …«
»Und wenn wir die mit unserem Schlauchboot überqueren?«
Wjatscheslaw Kusmitsch sieht mich wieder aufmerksam an:
»Ihr braucht jemanden, der euch führt, allein kommt ihr da nicht durch, verstehst du? Hier, der Fluss zum Beispiel, der Dwojnik, den kann man nur bei Niedrigwasser passieren. Oder hier, der winzige Bach da, der kaum eingezeichnet ist – über den kommst du gar nicht drüber. Nirgends. Dem muss man bis zu dem See hier ausweichen, rund fünf Kilometer … Und die Waskina-Bucht, die lässt sich auch nicht durchwaten … Außerdem, ihr wollt doch ins Inselinnere? Da muss man wissen, wo langlaufen … Ihr werdet nämlich nicht über eine Karte laufen, sondern über Erdboden! Und überhaupt, sag: Was ist euer Ziel? Wozu macht ihr das? Vielleicht kann ich euch ja eine andere Gegend empfehlen?«
Teurer Wjatscheslaw Kusmitsch! Sie haben ins Schwarze getroffen. Das Ziel ist die am wenigsten zu fassende Größe in dieser ganzen Geschichte. Es besitzt keine geographischen Koordinaten, ja mehr noch, keinerlei materielle Verkörperung – aber es muss erreicht werden. Ich drücke mich möglicherweise unklar aus? Möglicherweise verweisen Gewürze, Düfte, Sklaven, Mahagoniholz, Kakao- und Kaffeebohnen, Mammutbein und Elfenbein, Seide, Pelze, Zinn und Gold, denen die Menschheit nachjagte, während sie ihre vom Geist des Profits beseelten geographischen Entdeckungen machte, mit größerer Selbstverständlichkeit und leichter verstehbar auf das Ziel der jeweiligen Kundfahrt? Ach, unseren Plänen liegt nichts dergleichen zugrunde! Es muss wohl daran erinnert werden, dass wir unsere Expedition dem britischen Reisenden Trevor-Battye gewidmet haben, der genau hundert Jahre vor uns sich für einige Monate auf Kolgujew auf hielt, unter Umständen, die zweifellos eine eigenständige Erzählung verdienen.
Das Ergebnis von Trevor-Battyes Reise war ein Buch, mithin: ein Werk in Worten. Wenn ich sage, das Ziel unserer Expedition ist wiederum das Wort – erhellt das irgendetwas, Wjatscheslaw Kusmitsch? Wohl kaum. Ich bezweifle, dass Ihnen ein Gestade bekannt ist, wo Wörter wachsen wie der Rosenwurz, den du nur flink und hurtig auszugraben brauchst, im Wasser spülen, zerschneiden, trocknen; und ebenso wenig dürften Sie ein Hüglein kennen, worauf, in einem möglichst alten Kästelchen für uns eine Inspiration verborgen liegt, die ausreicht, ein Dutzend Schriftsteller trunken zu machen. Aber das ist alles dummes Zeug, entschuldigen Sie die Offenheit, obwohl: Sie sind ja selbst einst wegen etwas hergekommen, das sich einem Außenstehenden sinnvoll nicht erklären lässt, wir aber, Sie und ich, wissen, worum es geht bei diesem Etwas, für das es ein einziges Wort gibt: die
Insel
. So mutet auch unsere Unternehmung etliche Leuten vollkommen unsinnig an – ein absolut richtiges Urteil, insofern Sinn einem nicht geschenkt wird. Und jene Sinnkonzentrate, jenes Sinnerz, aus dem später etwas mehr oder minder Wertvolles gegossen werden wird – es muss ja erst noch gefunden werden. Aber wo suchen und wie, das sehe ich nur dunkel vor mir. Offensichtlich hängt von dem Weg, den wir nehmen, auch das Ergebnis ab. Doch weiß ich nicht zu sagen, wo es auf blitzen wird, das kostbare Wort, noch, was ihm zum Leben verhelfen wird. Der die Küste zerklüftende Sturm? Das silbrige Holz der alten Kreuze auf den von Hunden zerwühlten Gräbern? Die Beredsamkeit
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