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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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verlangsamen. Deshalb war Trevor-Battyes Expedition keineswegs ein Spaziergang durch exotische Regionen. Genauer: Nur ein Zusammentreffen zahlreicher von den beiden Forschern gänzlich unabhängiger Umstände erlaubte Trevor-Battye und seinem Kompagnon am Leben zu bleiben. Obgleich
Ice-Bound on Kolguev
eine der besten Beschreibungen der Insel war – und bis heute ist –, hat der Autor dem Text doch zugleich eine echte Abenteuerspannung beigegeben. Denn nicht in Afrika oder Amazonien, zeigte sich, sondern beinah vor der Haustür, in Europa, wiewohl an dessen äußerster Grenze, existiert dies: eine unbekannte Insel, bewohnt von einem unbekannten Volk, das eine seltsame samojedische Sprache spricht; gefahrvolle Abenteuer, die auf die beiden unerschrockenen Engländer warten; Verzweiflung, weil das Schiff, das sie von der fremden Küste fortbringen soll, unerklärlicherweise nicht auf kreuzt; kurz vor der langen polaren Nacht die Aussicht, nicht heimkehren zu können, und im letzten Augenblick das Auftauchen zweier russischer Karbassen, verheißungsvoll, obzwar unzuverlässig (wie das ganze russische Seemannsglück), aber doch wahrscheinlich die Rettung …
    1897 erschien das Buch in russischer Übersetzung 23 , aber man muss natürlich unbedingt die wunderbare, gut vierhundertseitige englische Originalausgabe mit dem goldgeprägten bläulichen Einband, den beigefügten Karten, den Illustrationen und dem Anhang (zu Flora, Fauna, Klima und den Eigenheiten des Nenzischen) zur Hand nehmen, um zu spüren, womit genau wir es hier zu tun haben, welches unerklärliche Aroma von diesem Buch ausgeht und woher jene ihm eigentümliche Mischung rührt aus schriftstellerischer Zurückhaltung und Selbsteingenommenheit, breiter Bildung und hauchfeiner Arroganz, forscherischem Interesse und einem unbezwingbaren, alles durchziehenden Überlegenheitsgefühl … Das gute alte viktorianische England, das seit Waterloo nur noch Siege kannte, dieses nicht nur über die Weltmeere, sondern die halbe Welt herrschende England, das nicht nur keiner seiner Launen nicht nachgeben wollte, sondern ebenso unfähig war, irgendeine seiner Lügen einzugestehen, – dieses ganz im Gefühl seiner Gewichtigkeit lebende England ist es, wo wir uns, außer auf Kolgujew, befinden, wenn wir dieses Buch in die Hand nehmen.
    »Vor zwei Jahren nun schon legte ich die Feder beiseite, nachdem ich meinen Bericht über einen Aufenthalt auf der Insel Kolgujew geendigt, die in jenem Teil des Arktischen Ozeans liegt, der unter dem Namen Barentssee bekannt ist. Erzwungen war mein langer, doch durchaus glücklicher Verbleib dort durch einen Ring aus Packeis, welcher Schiffen das Anlaufen der Insel so gut wie unmöglich machte. Zwei Engländer begleiteten mich: zum einen mein Weggefährte Thomas Hyland, zum anderen mein treuer alter Spaniel Sailor. Armer lieber alter Sailor! Der Tod hat ihn unterdessen in andere Jagdgründe versetzt, ob in glücklichere oder nicht, weiß ich nicht …«
    Welch ein Stil, welche Zeiten!
    Der Schotte Aubyn Trevor-Battye war Vogelkundler, und so ist sein Interesse an Kolgujew nur zu erklärlich. 1893 fuhr er auf einem englischen Handelsschiff nach Archangelsk mit dem Ziel, etwas über Kolgujew in Erfahrung zu bringen, aber seltsamerweise misslang dies. »Ich befragte Kaufleute und Fischer, ich befragte Mönche von den Solowezki-Inseln – vergeblich. Sie wussten nichts über Kolgujew, waren nur alle der Auffassung, es sei dies ein garstiger Ort.«
    Er muss hinters Licht geführt worden sein, dieser neugierige Engländer, anders kann es nicht sein. Denn wenigstens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erlegten Mesener Pomoren Jahr für Jahr an die Hunderttausend Gänse auf Kolgujew und verhökerten im Archangelsker Werftviertel Solombala das gepökelte Fleisch (das, da nachlässig eingesalzen, leicht nach Hund roch). Man kann natürlich irgendeinen rationalen Grund zu finden versuchen (und Trevor-Battye benennt in seinem Buch sogar einen), weshalb die »nahe« und »leicht zu erobernde« Insel, auf der sich die Promyschlenniki in fröhlichen Rotten zusammenfanden, um sich herauszufuttern und »anzusetzen«, plötzlich dem kollektiven Gedächtnis entfallen war – doch ist es wohl überflüssig, sich in derlei hochgradig komplexe Mutmaßungen zu verlieren …
    Nachdem er nichts Vernünftiges über Kolgujew hatte in Erfahrung bringen können – nicht einmal, ob dort Menschen lebten oder nicht, und wenn ja, ob fest oder nur zeitweise – besuchte

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