Die Insel und ich
und Buddleia. Manchmal ragte eine Fichte oder Zeder in den Himmel hinein, aber ohne einen Helikopter konnten wir nicht an sie herankommen. Am Sonntag versuchten wir es auf den Hügeln in der nächsten Nachbarschaft. Wir entdeckten ein paar Fichten, aber das waren saft- und kraftlose Kellergewächse, die im Unterholz erstickten.
«Hast du dich jetzt überzeugt?» fragte Don, als wir durch Regen und Dunkel nach Hause stolperten.
Anne sagte: «Marilyns Mutter kauft immer eine Blautanne, an die sie rosa Kugeln hängt. Und letzte Weihnachten hat sie einen Nerzmantel bekommen, und Marilyn hat ein blaues Peignoir bekommen.»
«Was ist ein Pännor?» fragte Joan.
«Etwas, für das Marilyn noch viel zu jung ist», sagte ich ärgerlich.
«Oh, ich verstehe», sagte Joan altklug.
Am Montag früh fragte mich Mr. Harvey, ein Bankier, der hinter der Landzunge ganz in unsrer Nähe wohnt und der mich manchmal in seinem Wagen in die Stadt mitnimmt, wenn er zu früh ist und ich zu spät bin, ob wir schon einen Weihnachtsbaum hätten. Ich schilderte ihm in lustigen Einzelheiten, wie wir vergebens gesucht hatten, ließ aber aus, daß ich streitsüchtig und eigensinnig gewesen war. Daraufhin erzählte er mir, er habe auf seinem Grundstück ein paar wunderbare Balsamtannen, die alle vollkommen symmetrisch und tadellos gewachsen seien, und es würde ihm Freude machen, uns eine zu schenken. Ich sagte, daß ich am gleichen Abend mit Don herüberkommen würde, und er sagte, er würde den Baum dann bereit haben.
Und das hatte er auch. Er war gefällt und schon verpackt. Es war eine wunderschöne Tanne mit Tannenzapfen an den dichten Zweigen, und sie war zehn Meter lang, der größte Weihnachtsbaum, den wir je gehabt hatten. Wir beförderten ihn über das Wasser nach Hause.
Eine Fährboot-Bekanntschaft Dons, ein Mann, der früher bei den Holzfällern im hohen Norden gearbeitet hatte, half ihn uns aufstellen. Der Familien-Christbaumschmuck, den ich geerbt hatte, reichte nicht ganz aus, vor allem hatte Don darauf beharrt, die oberen Zweige zu schmücken, und hierbei war manches entzweigegangen. Wir vergoldeten Walnüsse, machten bunte Ketten aus Maiskörnern, schnitten Sterne aus Zinnfolie aus, kauften noch mehr Kerzen und viele Bonbons, und dann war er herrlich geschmückt.
Am Heiligabend fuhren wir, wie immer, zu meiner Schwester Mary. Es regnete sehr stark, aber mit unsrer Wagenladung von Geschenken waren wir sehr vergnügt (die Geschenke stammten aus dem Geschäft in Vashon) – und in der Stadt ist ja Regen weiter nichts als blankes schwarzes Pflaster, flirrende Straßenlaternen und das Ticken der Scheibenputzer am Wagen.
Die ganze Familie war bei Mary versammelt – damals waren wir zwar nur unser achtzehn – jetzt sind wir zweiunddreißig, und wir vermehren uns mit großer Geschwindigkeit. Marys Haus sah entzückend weihnachtlich aus, und es gab ein feines Weihnachtsmahl in der richtigen weihnachtlichen Stimmung. Als wir zu guter Letzt «Stille Nacht, heilige Nacht» sangen, erklärte Don plötzlich, daß uns nur noch siebenundzwanzig Minuten blieben, um das letzte Fährboot zu erreichen. Wir rasten durch Seitenstraßen und durch die Chinesenstadt und konnten es gerade noch schaffen, und als wir drüben auf Sanders' Ufermauer standen und an der Bucht entlanggehen wollten, da plätscherte die Flut schon vergnügt über die oberste Stufe. Der Fußpfad aber war dunkel und schlüpfrig und naß. Als wir endlich zu Hause anlangten, war es halb drei, und Weihnachtsgeschenke und Stimmung waren etwas angekränkelt, sogar meine, die doch so echt und altmodisch gewesen war.
Am ersten Feiertag peitschte der Regen immer noch gegen die Scheiben und gurgelte in den Regentraufen, doch brachten wir mittels eines prasselnden Kaminfeuers eine gewisse Fröhlichkeit auf, und unsre Geschenke waren inzwischen auch trocken geworden. Die Stimmung wurde wohl auch dadurch gehoben, daß bei der Bescherung die Mädchen von uns genau das erhielten, was sie sich gewünscht hatten (ich glaube, es waren Herren-Sweater, dunkelviolette Lippenstifte und ein Morgenrock, der einem ‹peignoir› schon halbwegs ähnlich sah). Und dann erschienen Mutter und Schwester Alison und ihr Mann, die zum Essen eingeladen waren, und halfen uns feiern.
Im Januar fiel Schnee, Schnee in großen Mengen. Wir sind hierzulande nicht an Schnee gewöhnt und niemals darauf vorbereitet Selbst wenn die Flocken schon niedersegeln und alles weiß überziehen und der Himmel bleigrau ist und
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