Die Insel und ich
Wasser macht so melancholisch!»
«Unsinn», erklärte ich, «Hallowe’en auf dem Lande ist reizend.»
Aber als wir am nächsten Morgen aufwachten, hatten wir einen Sturm, der zu der besseren Sorte gehörte: der Wind wehte mit fünfzig Meilen pro Stunde, der Regen ging durch Mantel und Schuh, und gewaltige Brandungswogen donnerten gegen unsre Ufermauer. Ich sah, wie der Sturm die Geranien zerzauste, und das Herz tat mir weh. Die frühe Morgenstunde trifft mich nie in optimistischer Laune, und während ich warte, daß der Kaffee zum Kochen kommt, male ich mir eine Scheidung und Heirat und wieder Scheidung mitsamt allen gräßlichen Folgen aus. Doch heute war mir das Herz wegen der Kinder schwer. Meine süßen armen Kinderchen, die ihr hartherziger Stiefvater auf dieser scheußlichen Insel gefangen hielt. Der Hartherzige kam fröhlich pfeifend in die Küche und rief munter: «Heut wird’s heiß, wie mir scheint.»
Ich sagte: «Mir tun bloß Anne und Joan leid. Heute ist doch Hallowe’en, und sie sind zum Falkennest eingeladen.»
Don schaute aus dem Fenster und sagte: «Ohne Regenmäntel können sie nicht gehen.»
«Dummes Zeug», rief ich wütend. «Ihre schönen Kostüme werden klitschnaß, wenn sie den elenden alten Fußpfad gehen müssen.» Und ich blickte grimmig in den Sturm hinaus. «Betty, sei nicht so gefühlvoll», lachte Don. «Kinder sind Realisten, und Anne und Joan werden sich viel besser in die Lage schicken als du.»
«Doch», sagte ich eigensinnig. «Sie wollten Mondschein haben!»
«Und jetzt regnet es, und kein Mensch kann’s ändern, also müssen sie sich damit abfinden», meinte Don und zündete sich eine Zigarette an. «Hast du schon von jemand gehört, der halbwegs etwas im Leben geworden ist und nicht vorher ein paar nette kleine Schwierigkeiten zu überwinden hatte?»
Und das bringt mich auf die Erziehungsfrage. Alle Erziehungsbücher, etwa «Wie erziehe ich mein Kind während der Pubertätszeit» oder «Wie bewahre ich Frieden zwischen Kindern und Vater» bestehen darauf, daß die Eltern in punkto Disziplin immer und unbedingt einer Ansicht sein sollten. Ein wunderschöner Gedanke, finde ich, und sicher ideal, wenn er sich durchführen ließe. Aber er läßt sich eben bloß durchführen, wenn Vater und Mutter stumm und taub oder identische Zwillinge sind. Jedenfalls habe ich das beobachtet. Man betrachte zum Beispiel Don und mich. Wir lieben uns. Wir lieben die Kinder. Aber wenn sich in unserm glücklichen kleinen Heim eine Disziplinfrage erhebt, dann sind Don und ich zwei so verschiedene Wesen wie ein Eskimo und ein Südsee-Insulaner.
Don stammt aus einer strengen, unbeugsamen Schottenfamilie (beide Eltern waren MacDonalds). Eine Methodistenfamilie mit zwölf Kindern! In den Geschichten aus seiner Kindheit kommt dauernd Haferbrei als Frühstück vor, zwölf Stunden täglich Arbeit für die Bahn, als er noch im zarten Alter von zehn (oder gar sieben) Jahren stand, Kohlen schleppen, um sich die Schulkleidung zu verdienen, fünfmal wöchentlich Kirchgang und jeden Abend stundenlange Abendgebete auf dem Steinfußboden.
Ich selbst hatte bis zu dem Jahr, als mein Vater starb, auch eine strenge Zucht zu spüren bekommen, gewissermaßen, meine ich. Denn Papa, der zwar sehr streng war, wenn er zu uns nach Hause kam, war Bergwerksingenieur und meistens fort, und kaum war er abgereist, dann war Mutter wieder die lustige, zu Späßen aufgelegte junge Frau, und wir machten, was wir wollten. Und nach Papas Tod taten wir wirklich nur noch, was wir wollten. Ganz wörtlich. Wenn wir nicht zur Schule gehen wollten, gingen wir nicht zur Schule. Wenn wir keine Schularbeiten machen wollten, taten wir’s eben nicht. Wenn wir zwei oder drei Wochen bei Freundinnen bleiben wollten, machten wir’s eben, manchmal sogar, ohne zu Hause anzuläuten und Bescheid zu geben, wo wir eigentlich steckten. Viel verlangte meine Mutter nicht von uns, was das Betragen anbetraf, aber sie bestand darauf, daß wir weder schmollten noch logen. Wir mußten immer die Wahrheit sagen, so schlimm sie auch sein oder scheinen mochte. Wir durften übrigens immer Freunde und Freundinnen mitbringen, einerlei wie viele.
Don dagegen wollte immer von vornherein benachrichtigt werden, wenn Joan und Anne Freundinnen mitbrachten. Er konnte sich nicht an nächtliches Gequietsche und Gekicher und Exkursionen an den Eisschrank und das Ausleihen seiner Schlafanzüge gewöhnen, wenn eine Millie oder Ruthie oder Jeanie oder Molly mal über
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