Die Insel und ich
noch nicht zu Bett?»
Meistens habe ich auch den einen oder andern winzig kleinen Freund im Haus, denn ich liebe Kinder. Und der winzig kleine Freund geht um sieben ins Bett und will am andern Morgen um sechs in mein Bett. Ach was, Schlafen ist bloß eine Gewohnheitssache, sagen die Psychologen.
Es gibt alle möglichen Gäste. Interessante, lustige, langweilige, schwierige, dumme, eklige, verrückte, Säufer, Frömmler, Fanatiker, fett und langweilig gewordene Jugendfreunde, reich und langweilig gewordene Jugendfreunde, arm gewordene Jugendfreunde, die dauernd gekränkt sind, Verwandte, Babies, Ausländer, die kein Wort Englisch können und von Mary abgeschoben wurden, Halbwüchsige, die von sieben Uhr morgens bis drei Uhr morgens Platten spielen und sich die Zehennägel lackieren, während ich das ganze Geschirr abwasche, gescheite junge Freunde und Freundinnen von Anne und Joan, die nett sind und die ich gern bei mir sehe, gescheite junge Freunde und Freundinnen von Anne und Joan, die nicht nett sind und mir auch nicht helfen, und fremde Männer, die hochmütig meine Zigaretten rauchen, junge Menschen ungehobelt finden und dann versuchen, meine Anne oder meine Joan auf die Veranda zu locken.
Mein Ideal wäre ein riesiges Haus, möglichst mit 24 Schlafzimmern und 24 Badezimmern, mit unzähligen Gästen, recht vielen sich lautlos bewegenden Dienern – und ohne alle Arbeit für mich. Was ich habe, ist jedoch ein Haus mit vier Schlafzimmern, einem Gästehaus, drei Sofas, einer Hängematte, drei Couches und dem Fußboden, mit unzähligen Gästen, die meisten von ihnen noch nicht vierjährig, keine Dienerschaft und alle Arbeit für mich – und daher vergehen oft fünf bis sechs Monate, ehe ich mal wieder an unsern Strand hinunterkomme. Don sagt, der ganze Kummer mit mir sei, daß ich’s nicht leichter nehme. Meistens sagt er das früh am Morgen zu mir, wenn ich erst um drei Uhr nachts ins Bett gekommen bin und von jemand Kleinem herausgetrommelt wurde, der sich in einem Oberbett hat übergeben müssen.
Ich neige zu der Ansicht, daß ich nicht nervöser bin als andre, sondern daß es in der ganzen Welt Frauen gibt, die es unter ähnlichen Umständen auch ‹nicht leicht nehmen›. Wie konnte ich’s zum Beispiel leicht nehmen, als Anne ihre Freundin für den ganzen Sommer einlud (danke, gern!), und das war gerade in dem Jahr, als wir die Küche vergrößerten und einen Kamin einbauten und daher Orangenkisten als Schränke benutzten und nicht mal Tropfbretter hatten. ‹Danke, gern!› war ein sehr kleines Ding mit riesengroßen blauen Augen, langen goldbraunen Haaren, fast schwarzem Lippenstift, weinroten, zollangen Fingernägeln und einer fabelhaft schlechten Intelligenzquote. Ich glaube, der Grund, weshalb Joan und Anne sie so gern mochten, lag darin, daß sie nie auf ihrer Ansicht beharrte und zahllose Freunde hatte. Ich sagte, ‹ich glaube › denn obwohl sie über einen Monat bei uns war, hörte ich sie nie etwas anderes als «danke, gern!» sagen.
Don brummte dauernd: «Wer hat sie eingeladen? Weshalb werde ich nie mehr wegen irgend etwas um Erlaubnis gefragt?» und Joan und Anne und ‹Danke, gern!› brachten ganze Stunden damit zu, sich mit Sonnenbrandöl einzuschmieren und bewegungslos auf der Veranda in der Sonne zu liegen, die Zehen- und Fingernägel zu bemalen, Platten anzuhören, das Haar in Lockenwickeln aufzustecken und zu essen. Manchmal dachte ich beinahe, ob Joan und Anne ‹Danke, gern!› vielleicht in einem Kosmetikladen gekauft hätten. Sie sah tatsächlich so aus, als ob sie, in Zellophan gewickelt, zu verkaufen gewesen sei, und sie hatte keine Ahnung von den simpelsten Haushaltsarbeiten, wie etwa: zwei Scheiben Brot in den Toaster zu stecken und den furchtbar schweren Hebel herunterzudrücken.
Anne und Joan waren ganz willig, ja, beinahe versessen darauf, für sie zu kochen, zu waschen, zu bügeln, sie im Boot zu rudern, zu bedienen, ihr die Zigaretten anzuzünden, sie ins Kino zu fahren, ihr Bett zu machen – aber wenn ich sie einmal bat, die Aschenbecher zu leeren oder die Plätzchen herumzureichen, dann schrien sie auf wie verwundete Büffel und sagten: «Arbeiten, arbeiten, arbeiten, was andres gibt’s für uns nicht! Und dabei haben wir geglaubt, wir hätten Ferien.»
Sie ließen sich ihre Haare ebenfalls lang wachsen und malten sich die Fingernägel dunkelweinrot und die Lippen fast schwarz. Es war wirklich eine Nervenprobe, um so mehr, als es beunruhigenderweise den Anschein
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