Die Insel und ich
Joanies Stimme: «Wo hast du meine Daunendecke hingelegt? Wir machen auf der Veranda eine Schlafgelegenheit für Evelyn und Ruthie» – da bemerkte Don sarkastisch: «Was haben wir eigentlich – eine Jugendherberge? Diese Ruthie ist seit zwei Jahren keine Nacht daheim gewesen. Wieso wollen sie immer alle bei uns übernachten? Weshalb sind wir die einzigen, die dauernd Schuhe und Coca-Cola-Flaschen auf dem Kaminsims haben müssen? Wo sind die andern Eltern alle hin? Und was machen die denn eigentlich?»
Ich gähnte und sagte: «Wahrscheinlich sitzen sie einsam und allein vor ihrem Kaminfeuer in ihren leeren Wohnungen und fragen sich: ‹Weshalb reden die Leute bloß von den Problemen der Entwicklungszeit? Für uns gibt’s keine.›»
Anne platzte dazwischen und fragte: «Habt ihr was dagegen, wenn Carol raucht?»
«Ich habe nichts dagegen, wenn sie in Flammen aufgeht», rief Don.
«Sehr komisch», lächelte Anne vernichtend, «und uralt!» Und damit nahm sie unser letztes Päckchen Zigaretten und schlug die Tür hinter sich zu.
«Laß nur», tröstete ich Don, «mal werden sie ja heiraten und ausziehen!»
«Glaubst du wirklich?» fragte Don matt, während er die Stummel im Aschenbecher durchsah und schließlich einen nicht allzu kurzen fand. Er betrachtete ihn kritisch, seufzte, zündete ein Streichholz an und versuchte zu rauchen.
Das Zauberwort
Ich weiß nicht, wann mir zum ersten Mal jene lächerliche Anwandlung kam, aber zweifellos war es eine Folge von zuviel Kummer und Elend. Vielleicht hat meine Natur sich nicht anders zu helfen gewußt – so wie andre Menschen zu trinken anfangen oder sich die Pulsader aufschneiden oder irgendeine andre feige Flucht in ein besseres Leben wagen. Jedenfalls ergab ich mich dem Tagträumen. Es muß damals gewesen sein, als ich in die Schule bestellt wurde, um dort zu erfahren, daß Anne, die ihre letzten drei Jahre Höhere Schule fast beendet hatte, in den obligatorischen Fächern keine ausreichende Note hatte. Ausreichend waren nur ihre Noten in Kochen, Nähen, Korbflechten, Lederarbeiten und Wandmalen; ich wußte gar nicht, daß es so viele Kurse für diejenigen gab, deren Begabung, wie die Lehrerin es milde ausdrückte, «eher im Handwerklichen lag». Ich sprach von Annes hoher Intelligenzquote, und sie sagte ungerührt. «Ja, ich sprach mit dem Direktor darüber. Es ist einfach so: wenn Sie wünschen, daß Anne mit einem Diplom und nicht bloß mit einem Zeugnis abschließt, dann muß sie sich dahinterklemmen.»
Am Abend nach dem Essen hatten wir eine Besprechung, ob Anne sich dahinterklemmen wolle, aber sie wollte nicht, und Joanie sagte schließlich: «Steckt sie doch in die Schule für geistig Minderbegabte, da gehört sie hin!»
Anne sagte kühl: «Ich hasse die Schule. Ich habe die Schule von jeher gehaßt. Und ich werde die Schule immer hassen. Ihr könnt mich nicht ändern, also braucht ihr euch gar nicht erst anzustrengen.»
«Aber Andy», mahnte ich, «du kannst nie auf eine Universität gehen, wenn du jetzt nicht in Naturwissenschaften und Sprachen und Mathematik besser wirst.»
«Universität!» lachte Anne höhnisch. «Ich gehe nicht zur Universität, und wenn ihr mich vierteilt und mir das Taschengeld entzieht. Ich hasse die Schule, und ich hasse alle Lehrer!»
«Das Gefühl scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen», bemerkte Don nüchtern hinter seiner Zeitung.
Ich sagte: «Aber Andy, du weißt nicht, wie anders es auf einer Universität ist. Da werdet ihr wie Erwachsene behandelt, und die Professoren sind hervorragend und anregend, und zum ersten Mal wird einem klar, wie wichtig Wissen ist und weshalb man eigentlich studiert.»
Anne gähnte ausgiebig und musterte dann ihre langen roten Fingernägel. «Tut mir leid, Betty, es ist alles vergebens.»
Nach einiger Zeit gelang uns ein Abkommen oder eher ein verbissener Kompromiß. Anne sollte sich hinter die wissenschaftlichen Fächer knien, eine Sommerschule besuchen und mit einem Diplom abschließen. Ob sie dann auf eine Universität gehen wollte, war ihre Sache.
Wieder überließ ich mich dem Tagträumen, als Joan, die einige Sonntage im Chor mitgesungen hatte, sich plötzlich entschloß, aus der Schule abzugehen und einem Musikkorps beizutreten. Wir bekamen zum ersten Mal Witterung von diesem herrlichen Plan, als wir Joan und Anne in der Stadt im Hause von Freunden besuchten, deren Kinder sie hüten sollten. Es war ein Sonntagnachmittag, und wir wollten fragen, um wieviel Uhr die Eltern
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