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Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Titel: Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenda Larke
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…« Meine geflüsterten Worte waren ein Flehen an ein Wesen, an das ich nicht richtig glaubte.
    Ich kniete mich neben ihn und legte eine Hand auf seine aufgedunsene Wange. Er war einmal so hübsch gewesen. Meine Hand zitterte. Ich wollte etwas tun, wollte es beenden, dafür sorgen, dass es verschwand und sein Schmerz aufhörte; ich wollte, dass mein Schmerz aufhörte. Der Kummer tat scheußlich weh – erst Tann, und jetzt Niamor. Und alles meinetwegen.
    Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um auch nur zu flüstern. » Niamor, ich bin es. Glut.«
    Er sah mich aus verschleierten, hoffnungslosen Augen unter derart geschwollenen Lidern an, dass er sie kaum offen halten konnte. » Töte mich«, sagte er. Ich konnte ihn nur verstehen, weil ich mein Gesicht dicht an seine Lippen gebracht hatte.
    » Ja.« Ich schluckte. Sein Zustand ließ eine Rettung längst nicht mehr zu. » Wer ist es, Niamor?«
    Er versuchte, es mir zu sagen, aber ich verstand nichts von dem, was aus seiner geschundenen Kehle kam. Sein Blick wanderte von mir weg in das große Zimmer.
    Ich ahnte, was er zu sagen versuchte. » Auf dem Tisch?«
    Ein schwaches, sehr schwaches Nicken.
    » Gibt es jemanden, den oder die ich informieren soll? Soll ich jemandem eine Nachricht überbringen?«
    Diesmal war es eine kleine Bewegung, die Nein bedeutete. Er war fünfunddreißig Jahre alt – und er hatte niemanden, den es kümmerte, ob er lebte oder nicht. Die Tragödie berührte mich; es war zugleich auch meine eigene. Wir waren beide Ausgestoßene, die versuchten, so gut wie möglich in dieser Welt zu überleben, und am Ende starben wir doch allein.
    » Niamor«, sagte ich, » ich verspreche dir, dass ich ihn eines Tages töten werde. Für dich.«
    Ich konnte sein geflüstertes » Ja« kaum hören. Ich neigte meinen Kopf näher, um ihn besser verstehen zu können. » Heißsporn … wie … schade.« Da war ein winziges Kräuseln seiner Lippen, das ein bedauerndes Lächeln sein mochte. Unter anderen Umständen hätten wir die Zeit gehabt, Freunde zu werden. Er hatte dieses Schicksal nicht verdient.
    Ich hielt meine Stimme und meine Hand nur mit großer Mühe ruhig. » Jetzt, Niamor?«
    Sein Mund bildete Worte der Zustimmung, aber diesmal kam kein Geräusch. Ich küsste ihn auf die Wange, und die Fäulnis seiner Verwesung versengte mir fast die Lippen. Sein Hals war so aufgedunsen, dass ich die Stelle nicht finden konnte, an der ich den Zufluss des arteriellen Blutes stoppen und ihn damit bewusstlos machen konnte. Ich musste ihn töten, während der Blick seiner Augen auf mich gerichtet war, flehend und vorwurfsvoll … Es überstieg beinahe meine Kräfte.
    Ich drückte die Schwertspitze gegen seine Brust und stieß die Klinge dann in einem nach oben gerichteten Winkel hinein, so kraftvoll, dass sie unter der untersten Rippe hindurch in sein Herz dringen würde. Dann drehte ich die Waffe herum. Niamor krümmte sich, so sehr, dass die überbeanspruchte Haut aufplatzte und grüne Fäulnis herausquoll. Und dann starb er.
    Ich zog die Klinge wieder heraus, wischte sie sauber und sah ihn nie wieder an. Ich konnte es nicht. Ich erbrach mich auf die Matratze und torkelte in das große Zimmer. Ich schwankte, wie betrunken vor Schreck und Schmerz, zu seinem Schreibtisch. Dort kauerte ich mich auf den Stuhl und stützte den Kopf in die Hände. Der Geruch des Todes hing immer noch in meiner Nase.
    Zweimal in meinem Leben habe ich Menschen töten müssen, deren Tod mich beinahe verbrannt hätte. Die Erinnerung an beide hat mich über all die Jahre nicht losgelassen. Niamor war der Erste. Selbst jetzt noch wache ich manchmal mitten in der Nacht schweißgebadet auf, und der Geruch dieses Zimmers ist noch genauso stark in meiner Nase wie damals …
    Es dauerte lange, bis ich meinen Ekel so weit unter Kontrolle hatte, dass ich einen Blick auf die Zettel werfen konnte, die verstreut auf dem Tisch lagen.
    Ich segnete die Menoden, die mir erst die Grundkenntnisse des Lesens beigebracht und es dann geschafft hatten, mich so für das geschriebene Wort zu begeistern, dass ich alles las, was mir in die Finger kam. Mit Niamors deutlicher Schrift hatte ich nicht das geringste Problem.
    Auf dem ersten Blatt befand sich ein grober Plan des Schankraums der Trunkenen Scholle. Er hatte sämtliche Tische und Stühle eingezeichnet und neben die meisten davon einen Namen geschrieben. Einige von ihnen kannte ich: Niamor selbst, Sichel, Flamme, Thor, Noviss und Glut. Es

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