Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
Stunde, nachdem ich eingeschlafen war, weckte lautes Klopfen an der Tür mich wieder auf.
Ich zog mein Schwert aus der Scheide, entriegelte die Tür – und fand den letzten Menschen vor mir, mit dem ich gerechnet hatte: Noviss. Oder besser gesagt: Lözgalt Freiholtz. Er taumelte in heller Aufregung in mein Zimmer, wie ein gestrandeter Fisch. » Bitte, Ihr müsst etwas tun«, sagte er. » Es geht um Flamme – sie ist verschwunden. Etwas Schreckliches ist passiert.«
Ich schob das Schwert wieder in die Scheide zurück; ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Junge mit den wilden Augen irgendeine Gefahr für mich darstellte. » Ich würde vorschlagen, Ihr fangt noch mal ganz von vorn an«, sagte ich und schloss die Tür hinter ihm.
» Sie ist weggegangen, um zu …«, begann er, dann errötete er, stammelte und murmelte schließlich etwas, das ich nicht verstehen konnte.
» Sie hat was?«, fragte ich und machte keinerlei Anstalten, die Verzweiflung zu verbergen, die mich seinetwegen überkam. Da war etwas an diesem Noviss-Lözgalt, das mich dazu brachte, mich von meiner schlechtesten Seite zu zeigen.
» Sie, äh, ist nach draußen gegangen. Zur … äh, Toilette. Und sie ist nicht zurückgekehrt. Ich habe gewartet. Sie war … ähm … in meinem Zimmer. Wir haben, äh, miteinander gesprochen, versteht Ihr.«
» Ja, ich verstehe.« Der trockene Ton meiner Stimme entging ihm glatt.
» Ich bin nach unten gegangen, um sie zu suchen, aber sie war nicht da. Nirgendwo! Ihr müsst etwas tun.«
» Großer Graben in der Tiefe, ich muss überhaupt nichts tun! Ich bin doch nicht ihre Zofe! Vielleicht hatte sie nur einfach Lust auf einen kleinen Spaziergang. Sie wird morgen früh wieder zurückkehren.«
» Aber sie hat gesagt, sie würde sofort zurückkehren.« Er hielt meinen Arm fest. » Bitte, ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ich seufzte und enthielt mich der Frage, warum er nicht selbst nach ihr suchte. Die Antwort lag schließlich auf der Hand: Er hatte wahnsinnige Angst, erneut das Opfer eines Angriffs von Dunkelmagie zu werden. Es lag auch auf der Hand, dass ich keinen Schlaf mehr bekommen würde, bis ich nicht wenigstens den Versuch gemacht hatte, das abtrünnige Liebchen zu finden. » Schon gut, schon gut«, sagte ich also. » Ich gehe nach unten und sehe nach. Bleibt Ihr hier, bis ich zurück bin.« Ich schnallte mir mein Schwert um, glitt in die Stiefel und ließ ihn zurück. Er wedelte immer noch aufgeregt.
Der Gestank von Dunkelmagie traf mich gleich in dem Augenblick, als ich durch die Hintertür der Schenke ins Freie trat. Ich hätte meine Nase lieber in einen Kasten verrottender Fische gesteckt, als diese Bösartigkeit einzuatmen, aber ich musste mich umsehen. Zungen aus üblem Rot zuckten über den Boden im Hof. Ich war gerade zu dem Schluss gekommen, dass ich nichts finden würde, das mir irgendwie verraten könnte, was geschehen war, als ich eine Art Schnüffeln von der Scheune her hörte, in der der getrocknete Seetang aufbewahrt wurde, den man als Brennstoff benutzte. Ich ging mit gezogenem Schwert hinein.
Tann und sein räudiger Hund lagen auf dem Seetang, eingewickelt in eine Decke, die aus mehr Löchern als Stoff bestand. Er hielt dem Tier die Schnauze mit der Hand zu, aber es schlug dennoch kräftig mit dem Schwanz.
» Ich bin es nur, Tann«, sagte ich. » Glut. Ich suche nach der Cirkasin. Hast du sie gesehen?«
Seine Augen weiteten sich vor Angst. Er nickte, und dann strömten Worte in einem Schwall von unverständlichem Kauderwelsch aus ihm heraus. Als ich es geschafft hatte, ihn etwas zu beruhigen und dazu zu bringen, langsamer zu sprechen, war es etwas verständlicher, was er sagte. Es war allerdings keine Geschichte, die ich gern hörte.
Der Lurger hatte Flamme gehört und Tann geweckt – offenbar schlief der Schankjunge in der Scheune. Er hatte durch eine Ritze in der Scheunenwand nach draußen geblinzelt und gesehen, wie sie im Hof vornübergesackt war, als würde sie unter schrecklichen Schmerzen leiden ( » s wnn ’s ’n Stuß in’n Bch krgt nd hßes Zuug spckt«, so formulierte Tann es). Sie war, die Hände um den Bauch geklammert, über den Boden gerollt. Tann hatte schon fast nachsehen wollen, was los war, als er begriff, dass noch jemand anders da war, jemand, der im Schatten der Mauer stand. Es war zu dunkel gewesen, um es genauer sehen zu können, aber er glaubte, dass es ein Mann war. Wer auch immer es war, hatte nichts anderes getan als zuzusehen, wie Flamme
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