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Die Intrige

Titel: Die Intrige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Geschrei und Auf-den-Boden-trommeln weiterhelfen würde.
    »Reg dich ab«, sagte er zu seiner Schwester. Er rutschtevom Bett und setzte sich zu den anderen auf den Boden. »Also gut, 1483. Das war in etwa die Zeit, als Christopher Kolumbus losgesegelt ist, nicht? Vielleicht können wir auf der
Niña
, der
Pinta
oder der
Santa Maria
als Kabinenstewards anheuern. Vielleicht sollten wir uns nicht so viele Gedanken machen. Betrachten wir es einfach als großes Abenteuer.«
    »Kolumbus war 1492«, zischte Katherine. »Fängst du jetzt auch schon an, alles zu vergessen? Kennst du den Reim nicht mehr? 1492 fand / Kolumbus unentdecktes Land.« Ein Ausdruck von Panik trat in ihr Gesicht. »O Himmel. Wir sitzen in einem gottverlassenen Zeitalter fest, in dem Kolumbus noch nicht mal Amerika entdeckt hat!«
    »Genau genommen ist es nicht richtig, von ›entdecken‹ zu sprechen; schließlich haben die Ureinwohner dort schon seit Jahrhunderten gelebt«, sagte Alex, der wieder deutlich mehr wie er selbst klang. »Außerdem ist Kolumbus von Spanien losgesegelt und wir sind in England. Und das hier ist nicht das einundzwanzigste Jahrhundert, wo man einfach in ein Flugzeug steigen und in einer Stunde in einem anderen Land sein kann.«
    Jonas war entzückt, dass Alex wieder logisch argumentierte.
    »Übrigens, Katherine …«, sagte Chip mit einer Ernsthaftigkeit, die Jonas ihm niemals zugetraut hätte. Sarkasmus war eher sein Stil. Doch als Jonas seinen Freundeingehend musterte, war Chips Gesicht so sanft und unschuldig wie das eines Chorknaben. Er fuhr fort. »Es ist nicht in Ordnung, von einem gottverlassenen Zeitalter zu sprechen, nur weil die Europäer noch nichts von Amerika wissen.
Er
denkt fast nur an Gott.« Er deutete auf seinen Marker, der jetzt, mit dem Kopf an die Wand gelehnt, dasaß. Seine Lippen bewegten sich stumm. Er schien wieder zu beten.
    »Er auch«, sagte Alex und zeigte auf seinen eigenen Marker, der sich an die Schulter des Bruders kuschelte und fest zu schlafen schien. »Und das Komische ist, dass ich mich im einundzwanzigsten Jahrhundert für einen Atheisten oder Agnostiker gehalten habe. Was von beiden war mir ziemlich egal. Aber als ich mit seinem Kopf dachte … war ich gläubig. Es war anders, als zu glauben, dass sich die Sterne um die Erde drehen, also etwas zu denken, von dem ich wusste, dass es falsch ist. Es ist … ich weiß nicht. Ich kann es nicht erklären.«
    »Es hilft«, sagte Chip schlicht. »Eduard ist felsenfest davon überzeugt, dass man ihn umbringen wird und dass er nichts dagegen tun kann. Er müsste eigentlich eine Heidenangst haben. Aber es geht ihm … gut.«
    Jonas wollte dagegenhalten: Ich glaube auch an Gott, trotzdem habe ich eine Heidenangst. Was sagst du dazu? Aber er glaubte nicht, dass das sonderlich hilfreich wäre.
    Katherine holte tief Luft.
    »Ihr redet wieder in der dritten Person«, sagte sie.
    »Hä?«, machte Chip.
    »In der dritten Person«, sagte Katherine. »Er. Ihm. Seinem. Ihr redet nicht mehr so, als würdet ihr euch für sie halten.«
    Mit einer achtlosen Handbewegung wies sie auf die Marker, wobei ihre Finger durch König Eduards Bein fuhren. Sie merkte es nicht einmal.
    »Es scheint ein bisschen nachzulassen«, vermutete Alex, »je länger wir von ihnen getrennt sind. Wir könnten ein Experiment durchführen und feststellen, ob wir ihre Gedanken intensiver erleben, wenn wir uns länger in den Markern aufhalten. Wir könnten überprüfen, ob unsere eigenen Erinnerungen im Laufe der Zeit schwinden.«
    »Nein!«, sagten Katherine und Jonas wie aus einem Mund. Sie sahen sich an.
    »Was ist, wenn ihr euer wahres Ich komplett vergesst?«, gab Katherine zu bedenken. Sie war rot und erregt und schien wieder kurz vor einem kindlichen Wutausbruch zu stehen. Eine Strähne hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und klebte ihr an der schweißbedeckten Wange. Jonas fragte sich, ob sie die Auswirkungen der Zeitkrankheit immer noch spürte.
    »Was ist denn unser wahres Ich?«, fragte Alex leise. Er wandte den Kopf und sah sehnsüchtig zu den Markern auf dem Bett.
    Chip hatte den gleichen Ausdruck im Gesicht. Jonas konnte förmlich sehen, was ihnen durch den Kopf ging. Er warf sich zur Seite, richtete sich auf den Knien auf und streckte beide Arme aus, als wollte er einen Verkehrspolizisten nachahmen, der niemanden passieren ließ.
    »Ihr könnt nicht wieder zu ihnen«, sagte er und hoffte, ihnen mit seinem Körper den Blick auf die Marker zu versperren. »Warum auch?

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