Die Invasion - 5
ohne Grund, dass es in ganz Siddarmark nicht eine einzige geschäftliche Transaktion gebe, bei der Qwentyn nicht in irgendeiner Weise die Fäden ziehe. Tymahn war der anerkannte Patriarch eines weltweit tätigen Familienunternehmens. Er war einer der engsten Vertrauten des Reichsverwesers und als Finanzberater für Herzöge, Fürsten, Könige und Vikare tätig. Er kannte jeden, wirklich überall, und er hatte sich sein Leben lang den Ruf aufgebaut, er sei ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen könne - und dessen Feindschaft etwas sei, das man wirklich zu fürchten habe.
Wenn Tymahn Qwentyn eine Einladung zum Abendessen aussprach, dann nahm man diese Einladung auch an - selbst wenn einige der Personen auf der Gästeliste sich beachtliche Sorgen darüber machten, was ihr Gastgeber wohl im Schilde führen mochte. Die Gäste an diesem Abend hatten bereits eine Vermutung, weswegen man sie hier zusammengerufen hatte, und so herrschte eine Stimmung unverkennbarer Anspannung, während sie alle darauf warteten, ihre Vermutungen bestätigt zu finden.
»Ich danke Ihnen, dass Sie alle gekommen sind«, sagte Qwentyn, und es klang ganz genau so, als wäre es durchaus möglich gewesen, dass es anders hätte sein können. »Ich bin mir sicher, dass in diesen Zeiten der Ungewissheit wir alle uns der Notwendigkeit bewusst sind, dass Menschen guter Absicht einander die Hand in Freundschaft reichen sollten«, fuhr er fort. »Vor allem, wenn das Wohlergehen so vieler anderer davon abhängt, welche Entscheidungen eben jene Menschen guter Absicht treffen.«
Die Spannung wuchs noch weiter an, und Tymahn Qwentyn lächelte, als spüre er das ganz genau - und hielte es für amüsant.
»Ich bin mir recht sicher, dass Sie alle einander kennen«, sagte er und nahm am Kopfende der Tafel Platz. »Unter diesen Umständen ist es wohl kaum erforderlich, einander förmlich vorzustellen.«
Der eine oder andere am Tisch nickte zustimmend. Tatsächlich kannten die meisten hier einander. Doch es gab Zeiten, in denen zumindest offizielle Anonymität äußerst wünschenswert gewesen wäre.
»Ich möchte gleich zum Kern der Sache kommen, meine Herren«, fuhr Qwentyn fort. »Ich habe Sie alle nicht nur in Ihrer Eigenschaft als einflussreiche Anteilseigner des Hauses Qwentyn hierhergebeten, sondern auch als besorgte Bürger dieser Republik. Natürlich habe auch ich meine ganz eigenen Sorgen. Aber zugleich sind mir zahlreiche Sorgen und Befürchtungen anderer zu Ohren gekommen - zum Teil aus Regierungskreisen, zum Teil auch von einfachen Bürgern. Selbstverständlich sind diesen Befürchtungen im privaten Gespräch, von Bürger zu Bürger, Ausdruck verliehen worden. Also machen Sie bitte nicht den Fehler davon auszugehen, dieses Zusammentreffen hier sei in irgendeiner Weise ... offiziell gebilligt, sozusagen.«
Dieses Mal machte sich niemand die Mühe, zustimmend zu nicken. Allen Aussagen zum Trotz, die Tymahn Qwentyn hier für das Protokoll tätigte, war doch allgemein bekannt, dass er niemals Personen ›aus Regierungskreisen‹ erwähnte, wenn er nicht tatsächlich für die Regierung sprach. Oder zumindest für diejenigen aus der Regierung, die dabei mit großem Einfluss ihre eigenen Interessen vertraten. Und angesichts seiner engen Kontakte zum Reichsverweser war die Chance, dass er auch nur in Erwägung ziehen würde, sich gegen Greyghor Stohnars ausdrücklichen Wunsch zu stellen, faktisch einfach nicht vorhanden.
Die einzige Frage, die seine Gäste derzeit beschäftigte, lautete also nicht, ob er das inoffizielle Sprachrohr des Reichsverwesers war, sondern vielmehr, was genau Stohnar sie wissen lassen wollte.
»Die Ereignisse der jüngsten Zeit, sowohl hier in der Republik als auch andernorts«, fuhr Qwentyn nach einer kurzen Pause fort, »haben zu außergewöhnlichen Veränderungen in der Geschäfts- und Finanzwelt geführt. Ich bin mir sicher, Sie alle haben selbst bereits einige der Veränderungen bemerkt, von denen ich hier spreche. Und ebenso wie ich selbst sind auch Sie, das glaube ich fest, zutiefst betrübt über das offene Schisma zwischen dem Königreich Charis - bitte entschuldigen Sie, dem Kaiserreich Charis - und den Rittern der Tempel-Lande. In einer Zeit derartiger Ungewissheit ist es unausweichlich, dass die Märkte einbrechen, dass sich Handelswege verändern und so manches Unternehmen scheitert, mit katastrophalen Folgen nicht nur für deren Besitzer und die Anteilseigner, sondern auch für all jene, die von diesen
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