Die irische Meerjungfrau
einem Reiseführer stehen, sollte Foley jemals in einem solchen Erwähnung finden.
Pittoresk.
Fin schnaubte verächtlich. Er wusste es besser. Hinter jedem blankgeputzten Fenster wohnte die Habgier, hinter jeder rotlackierten Tür lauerte Bosheit, selbst in den Hundehütten war die Falschheit zu Hause. Da konnte dieses Nest noch so verschlafen tun, ihm konnten sie nichts vormachen.
Tatsächlich traf er kaum eine Menschenseele. Eine junge Frau verschwand mit ihren Einkaufstüten unterm Arm in einem Hauseingang, und dort überquerten drei Teenager die Straße, trotz winterlicher Temperaturen nur mit kurzen Jacken und noch kürzeren Miniröcken bekleidet. Fin gönnte sich einen flüchtigen Blick, aber die Mädchen waren eindeutig zu jung für ihn. Drüben vor dem Laden standen zwei Männer beisammen, ganz in eine Zeitung vertieft, und diskutierten wahrscheinlich die aktuellen Sportergebnisse.
Aber Fin machte sich keine Illusionen, er wusste, dass man jeden seiner Schritte ganz genau beobachtete. Am besten gab er sich ganz offen und unbefangen, schließlich war ja nicht er es, der etwas zu verbergen hatte.
Fin nickte den beiden Männern beiläufig zu und betrat den Laden.
Er hatte keine besondere Vorstellung, was ihn im Inneren erwartete, aber ganz sicher nicht das. Er hätte schwören mögen, dass dies der eigenartigste Laden auf Gottes weiter Welt war, in den er je einen Fuß gesetzt hatte.
Im ersten Moment glaubte er, sich in eine Verkaufsagentur von eBay verirrt zu haben. Regale bis unter die Decke, die in den eher spärlich beleuchteten Tiefen des Raums verschwanden, vollgestopft mit einem unüberschaubaren Sammelsurium an Dingen, die man brauchte oder nicht brauchte. Da stapelten sich DVD-Player neben Duschgel, Turnschuhe neben Tupperware, Autopolitur neben Angelhaken. Es gab eine breite Auswahl an Sonnenbrillen, Spielzeugautos, Kerzen und Krawatten, Motorradhelme, Espressomaschinen und Glühbirnen. Auf dem Boden standen Rasenmäher zwischen Torfbriketts und Tapetenkleister.
Fin kam sich vor wie in Ali Babas Schatzhöhle. Hier gab es einfach alles – und er war sich sicher, dass der Ladenbesitzer das, was er gerade nicht auf Lager hatte, innerhalb von zwei Tagen würde besorgen können.
Er ging eine Weile zwischen den Regalen auf und ab, entdeckte hier eine Kollektion Handys, dort ein Sortiment Designer-T-Shirts und fragte sich, wer in aller Welt in diesem Labyrinth etwas fand.
Der einzige Kunde außer ihm war ein Junge im Teenageralter mit verwaschenen blauen Haaren und viel zu weiten Hosen, der ihn jedoch nicht bemerkte, weil seine Ohren unter einem überdimensionalen Kopfhörer steckten. Sein Kopf zuckte spastisch hin und her, provoziert von heftigen Beats, die aus einem iPod quäkten. Er stand vor einem Regal und schien sich für Blumendünger zu interessieren. Vielleicht rauchte man so was hier …
Auch der Lebensmittelbereich war gut sortiert, die Kühltheke offenbar nagelneu und das Angebot an frischem Obst und Gemüse durchaus akzeptabel.
Fin blieb vor dem Spirituosenregal stehen, und sofort fiel ihm sein leerer Flachmann ein. Die Auswahl an Whisky war beachtlich, die Preise überraschend moderat. Er gönnte sich einen dreißig Jahre alten Talisker und hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens, als er damit zur Kasse ging.
Um zu wissen, dass alle diese Waren ihren Weg in diesen Laden nicht auf legale Weise gefunden hatten, dazu brauchte es nicht mal einen Schulabschluss.
Hinter der Ladentheke stand Ciarán O’Connor – wenn denn das Schild draußen stimmte. Er räumte gerade Zigaretten in ein Regal, und während Fin wartete, fiel sein Blick auf den Zeitungsständer. Alle Ausgaben waren von vorgestern. Offenbar legte hier niemand gesteigerten Wert auf die allerneusten Neuigkeiten. Daneben tatsächlich ein paar Ansichtskarten. Fin fragte sich, ob er den Jungs im Büro eine schicken sollte. Oder Susan. Nein, eher eine an Lily. Die Auswahl an Motiven war bescheiden. Zwei Schafe auf der Landstraße, drei Schafe vor einer Mauer und eine ganze Menge Schafe mit einem Berg im Hintergrund.
»Darfs noch was sein außer dem Whisky?«
Die Post musste warten.
»Haben Sie eine Karte von der Gegend hier?«, fragte Fin.
»Eine Karte?«
»Eine Landkarte.«
Sofort hatte er Ciaráns ungeteilte Aufmerksamkeit. »Eine Landkarte?« Seinen Blick konnte man getrost als misstrauisch bezeichnen. Misstrauisch gegenüber Fremden, die immer alles genau wissen wollten und genau hinschauten. Denn in Foley
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