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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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Selbst wenn Fin dies gewusst hätte, er hätte den Teufel getan, diesen Irrtum aufzuklären – dazu war der Kaffee einfach zu gut.
    Es war kurz nach elf, als er sich auf den Weg machte. Die frische Luft konnte Tote aufwecken. Schon nach wenigen Minuten begann sich der Nebel zu lichten. Wenigstens der in seinem Kopf.
    Er hatte die wetterfeste Jacke übergeworfen, den Rucksack geschultert und marschierte mit forschen Schritten in seinen neuen Schuhen in Richtung Dorf. Er wollte das tun, was alle Touristen an seiner Stelle taten, das Terrain sondieren und dessen Möglichkeiten erkunden. In einem Ferienort hätte er sich unters Volk gemischt, in Foley konnte das ein sehr einsames Unterfangen werden.
    »Schöner Tag heute.«
    Fin hob den Blick.
    Der alte Mann tippte grüßend zwei Finger an seine Schirmmütze und ging unbeirrt seines Weges.
    Fin nickte unsicher zurück. Schöner Tag? Gut, es regnete nicht, vielleicht war es schon deshalb ein schöner Tag. Er versuchte sich die Ekstase der Menschen vorzustellen, wenn erst mal die Sonne durch die Wolken brach.
    Graue Steinmauern begleiteten die Straße zu beiden Seiten. Dahinter Wiesen und hier und da ein nasser, trostloser Garten. Ein Traktor überholte ihn, der Anhänger rumpelte hinterdrein. Auf der Ladefläche reckte ein Hund seine Nase in den feuchten Wind. Je weiter er ins Dorf kam, desto näher rückten die Häuser. Der Geruch von Torffeuern hing in der Luft. Aus einer Toreinfahrt kam ein kleiner gefleckter Terrier geschossen, knurrte und kläffte ihn an und versuchte ihn in seine Schuhe zu zwicken.
    »Verpiss dich!«, zischte Fin ihn an, aber der kleine Kerl ließ nicht von ihm ab. Fin dachte ernsthaft daran, ihm einen gezielten Tritt zu verpassen, überlegte es sich aber anders. Er konnte unmöglich einen dreibeinigen Hund treten. Damit würde er sich garantiert keine Freunde machen. Er bemühte sich, den Kläffer zu ignorieren, und tatsächlich verlor der Hund nach einigen Metern das Interesse an ihm und trollte sich.
    Was tat man als Tourist in Foley?
    Es gab bestimmt hunderte solcher Dörfer in ganz Irland, und alle lebten sie vom Tourismus. Man hatte Naturschutzgebiete ausgewiesen und mit Wanderwegen versehen und gemütliche Hotels gebaut. Hausfrauen töpferten, was der Ofen hergab, oder boten Selbstgestricktes feil, während ehemalige Fischer ihre Boote an Delfinbeobachter vermieteten.
    In den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte die irische Regierung versucht, die Halbinsel Day’s Foreland touristisch zu erschließen. Angeblich, um den Menschen dort Einkommensmöglichkeiten zu bieten. Leider hatte man versäumt, die Betroffenen zu fragen, ob sie dies auch wollten. Der Bau einer Ferienanlage wurde letztendlich aufgegeben, weil immer wieder Baumaschinen und Material abhandenkamen, und die Anbindung ans regionale Busliniennetz konnte man als weitgehend gescheitert ansehen, da es laut Auskunft der Dorfbewohner keinen Bedarf gab. Das Experiment, das berüchtigte Piratennest durch Ströme von unschuldigen Touristen zu infiltrieren, war gründlich in die Hose gegangen.
    In der Tat fragte Fin sich, wovon die Menschen hier lebten. Zwar hatte Foley einen Hafen, aber hier wurde schon lange kein Fisch mehr angelandet. Seit die EU vor einigen Jahren die Fischfangquoten neu geregelt hatte, lohnte sich die Arbeit nicht mehr. Ein großer Fischereihafen mit Konservenfabrik einige Meilen südlich von Foley hatte dichtgemacht. Schifffahrtsrouten waren verlegt worden, und im Zeitalter von GPS und Satellitennavigation hatte man schließlich auch den alten Leuchtturm am Cape Cloud außer Betrieb gesetzt. Jetzt dümpelten noch zwei schrottreife Kutter im brackigen Wasser des Hafenbeckens, einer hatte bedenkliche Schlagseite. Unter der abblätternden Farbe waren ihre gälischen Namen kaum noch zu entziffern. Eine einsame Möwe hockte wie eine stumme Anklage auf einem Berg verrotteter Netze, die schon seit Jahren keinen Fisch mehr aufgescheucht hatten. Auf dem Pier stapelten sich ramponierte Hummerkörbe neben einem ausgebauten Schiffsmotor, der zugegebenermaßen sehr dekorativ vor sich hin rostete.
    Ganz anders das Bild auf der gegenüberliegenden Seite der Mole. Bunt hoben sich die Fassaden der Hafenfront gegen den Nebel ab. Maisgelb, Fuchsiarot, Himmelblau, dazwischen seriöses Weiß oder dezentes Grau, aber alles in allem ein hübsches Ensemble an Individualität, das sich fotogen im stillen Wasser des Hafenbeckens spiegelte. Pittoresk, würde in

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