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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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lagen die Leichen nicht nur in Kellern, nein, hier ruhten sie an Weggabelungen, in Bachbetten, an Stränden, hinter Steinmauern und unter Schafweiden, und keiner war erpicht darauf, dass irgendwer nach ihnen suchte, oder schlimmer noch, sie auch fand.
    »Naja, so eine Wanderkarte halt.«
    »Ach so…« Ciarán atmete hörbar auf und entspannte sich wieder. »Nee, so was haben wir hier nicht.«
    »Na dann …«
    Fin bezahlte, ließ die Whiskyflasche in seinem ansonsten ziemlich leeren Rucksack verschwinden und trat hinaus auf die Straße.
    Foley war ein typisches Durchgangsdorf – eine Tankstelle, ein Laden, ein Pub und schon war man durch. Nur dass es hinter Foley nirgendwohin ging. Der größte Teil des Dorfes lag an der Hauptstraße, von der nur einige wenige Wege abzweigten. Eine Gasse hinunter zum Hafen, die Gasse direkt gegenüber, die zum Pub führte, und ein schmaler Weg, der sich einen Hügel hinaufwand und bei Kirche und Friedhof endete. So waren alle Säulen des irischen Dorflebens miteinander verbunden und leicht erreichbar. Im Allgemeinen hießen solche Straßen Main Road oder High Street.
    In Foley hieß die Hauptstraße   Robin Hood Road . Allerdings nur inoffiziell.
    Der Ursprung dieser Bezeichnung lag weit zurück in der Vergangenheit und hatte mit dem edlen englischen Volkshelden eigentlich wenig zu tun. Die Einwohner von Foley hielten seit jeher sehr viel auf Traditionen. Und ein uralter Brauch seit dem frühesten Mittelalter, wahrscheinlich aber schon seit der Entdeckung der Navigation, war es nun mal, mit falschen Signalen ahnungslose Seefahrer in die Irre zu leiten, vorzugsweise auf die schroffen Klippen von   Horse’s Neck , einem Riff etwa fünf Meilen nördlich von Foley. Die Schiffswracks wurden gnadenlos geplündert, die Mannschaft der rauen See überlassen oder, wenn sie Glück hatte, einfach davongejagt. Erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts konnte man dem Treiben Einhalt gebieten, und mit Inbetriebnahme des Leuchtturms, der 1890 gegen den heftigen Widerstand der Einheimischen eingeweiht wurde, war die Küste einigermaßen sicher. Damit nicht genug, setzte man den Dorfbewohnern zehn Jahre später noch eine Kirche vor die Nase und glaubte allen Ernstes, damit die gottlosen und subversiven Elemente besiegt zu haben. Aber sie hatten die Rechnung ohne die Sturheit der Dörfler gemacht und ihren hoffnungslosen Hang zu liebgewonnenen Traditionen. Über all die Jahrhunderte hatten sie es einfach nicht gelernt, ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit zu bestreiten. Sie waren daran gewöhnt, auf Kosten anderer zu leben und jeden zu bekämpfen, der sie daran hindern wollte. Irgendwie waren sie aus Prinzip gegen alles. Aus Tradition.
    Während des Osteraufstandes 1916 ließen sie demonstrativ den englischen König George V. hochleben und hissten den   Union Jack , was sie aber nicht daran hinderte, wenig später Waffen für die IRA ins Land zu schmuggeln, um die Engländer zu bekämpfen. Stets waren sie auf den eigenen Vorteil und Profit bedacht. Entlang der unüberschaubaren, schwer zugänglichen Küste begann das Schmugglerhandwerk zu blühen. Nahezu alles, was man tragen konnte und für irgendjemanden von Wert war, wurde verschoben. Und jeder, der laufen konnte, machte mit. Nein, man ging sogar noch einen Schritt weiter. Angeblich wurden Diamanten in vollen Babywindeln geschmuggelt – ob die Qualität der Steine gelitten hatte, war allerdings nicht überliefert. Meistens wurden Waffen und Alkohol geschmuggelt, Druckplatten für Geldscheine und hin und wieder auch Menschen, die außer Landes wollten, ohne dass die Polizei Wind davon bekam.
    Diese Tradition hatte man in Foley bis in die jüngere Zeit gepflegt, die Waren hatten sich der internationalen Nachfrage angepasst – Computer, Medikamente, Devisen – was unter anderem das breite Warenangebot in Ciarán O’Connors Laden erklärte. Genaueres war nicht bekannt, denn bisher hatte man keinen der Täter geschnappt, geschweige denn irgendjemandem irgendetwas nachweisen können. Dies war einer der Gründe, weshalb Touristen nicht gern gesehen waren. Die Einwohner von Foley blieben lieber unter sich, hielten zusammen wie Pech und Schwefel, und wie in einer großen Familie wurde alles gerecht untereinander verteilt.   Robin Hood   ließ grüßen.
    Warum sollte in einer solch unwirtlichen Gegend nicht auch ein Rennpferd verschwinden?
    Noras Phantastereien gingen Fin nicht aus dem Kopf. Je länger er darüber nachdachte,

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