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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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Verhältnisse nicht wirklich viel getrunken hatte, schlief er in der Sekunde ein, als sein Kopf das Kissen berührte.
    Und genauso wachte er am nächsten Morgen auf. In zerknautschten Kleidern, die malträtierten Schuhe noch an den Füßen, auf der linken Gesichtshälfte das Rüschenmuster der Polyestertagesdecke. Sein Magenknurren hatte ihn geweckt. Durch die offenen Vorhänge fiel Tageslicht ins Zimmer; wenn er den Kopf hob, konnte er über den Rasen bis zur Straße sehen. Dahinter nichts als Nebel. Das Wetter konnte bei labilen Menschen Selbstmordgedanken hervorrufen.
    Er verließ das Bett und versuchte dabei unnötige Bewegungen zu vermeiden, um seinen Kopf langsam und vorsichtig von der Horizontalen an die Vertikale zu gewöhnen. Nein, einen Kater hatte er eigentlich nicht, aber er war sich ziemlich sicher, dass der ein oder andere Fisherman’s Fellow für das Vakuum in seinem Schädel verantwortlich war. Im Spiegel über dem Waschbecken starrte ihn jemand an, der ihm vage bekannt vorkam. Er wusch ihn trotzdem. Nach einer ausgiebigen Dusche und sorgfältiger Rasur war er mit dem Ergebnis durchaus zufrieden.
    Susan hatte in den letzten Monaten gemäkelt, er ließe sich gehen, was Fin wiederum gar nicht nachvollziehen konnte. Was erwartete sie von ihm? Dass er mit Mitte vierzig anfing und sich die Haare färbte, damit die grauen Stellen nicht so auffielen? Haareschneiden, okay, darüber konnte man reden, aber Färben? Im Leben nicht. Außerdem kamen Männer mit grauen Schläfen bei manchen Frauen durchaus an. Aber das war eine andere Geschichte, die er jetzt lieber nicht verfolgen wollte. Nicht so früh am Morgen.
    Er zog ein paar bequeme Jeans und ein frisches Hemd aus seiner Reisetasche, stellte die neuen Schuhe und den ebenso neuen Rucksack bereit und verkleidete sich als Tourist, den nur noch ein Frühstück daran hinderte, dem Lockruf der Natur zu folgen.
    Draußen vor seiner Zimmertür roch es nach Kaffee. Nicht einfach nur nach Kaffee, nein, es roch wie ein ganzer Starbucks Coffee Shop. Fin war einigermaßen überrascht. Aber warum sollte eine Frau, die ein derart grässlich großgeblümtes Kleid ihr Eigen nannte, nicht trotzdem wunderbaren Kaffee kochen können?
    »Guten Morgen, Mrs. MacCormack.«
    »Guten Morgen, Mr. O’Malley. Haben Sie gut geschlafen?« Die obligatorische Frage schien ohne Vorbehalte ernst gemeint zu sein.
    »Danke. Wunderbar«, murmelte Fin und setzte sich an den Platz, den die Dame des Hauses für ihn eingedeckt hatte.
    »Kaffee? Oder lieber Tee?«
    »Kaffee wäre fantastisch, Mrs. MacCormack.«
    Sie goss ein und stellte eine Thermoskanne vor seine Nase. »Wie mögen Sie Ihre Eier?«
    »Ähm, Spiegeleier, wenns keine Umstände macht.«
    »Kein Problem, Mr. O’Malley. Dazu Speck? Tomaten? Würstchen? Black Pudding?«
    Sein Magen grummelte aufdringlich. »Gern, Mrs. MacCormack.«
    Sie entschwand in Richtung Küche und ließ ihn mit dem Kaffee und einer großzügigen Auswahl an Frühstückscerealien zurück und mit der Frage, was wohl den Sinneswandel seiner Gastgeberin herbeigeführt hatte. Der Kaffee war der beste, den er seit Monaten getrunken hatte, und er war gerade mit seinen Cornflakes fertig, als sie zurückkam, umweht von einem köstlichen Duft nach knusprigem Speck und geschmorten Tomaten, in der Hand einen riesigen Teller, auf dem sich alles häufte, was seinen Magen nach der unfreiwilligen Fastenzeit glücklich machte.
    »Das sieht wunderbar aus.« Er meinte es ehrlich.
    »Lassen Sie sich’s schmecken, Mr. O’Malley.« Sie stellte frischen Toast auf den Tisch und überließ ihn ihren Gaben.
    Fin putzte alles weg, sogar die obskuren Würstchen, die er zu Hause stets verweigerte. Nein, er wollte nicht wissen, woraus sie gemacht waren. Nicht so früh am Morgen. Nachdem er den Rest Eigelb mit Toast aufgewischt, das verbliebene Brot mit Marmelade bestrichen und niedergemacht und die Kaffeekanne bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, fühlte er sich satt und zufrieden.
    Trotzdem traute er der ganzen Sache nicht. Führte die gute Frau etwas im Schilde?
    Was Fin nicht wissen konnte, war, dass der Witwe MacCormack seine nächtliche Heimkehr natürlich nicht entgangen war. Durch den Spalt zwischen ihren Schlafzimmervorhängen hatte sie seinen Kniefall vor ihrer Marienstatue allerdings völlig falsch interpretiert, und als gläubige Katholikin war sie zur Nächstenliebe verpflichtet, besonders wenn man hier in der Diaspora einem anderen gläubigen Christenmenschen begegnete.

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