Die irische Meerjungfrau
okay.
5. Keane
Es gab Zeiten, da war das Wort Keane ein anderer Ausdruck für Organisierte Kriminalität. Seit Anfang der Neunzigerjahre hatten Jack und Thomas Keane dafür gesorgt, dass bei der Polizei in Großbritannien und Irland keine Langeweile aufkam.
Zum ersten Mal wurde man auf die damals noch jugendlichen Brüder aufmerksam, als sie zum rätselhaften Verschwinden eines prämierten Westhighland Terriers befragt wurden, seines Zeichens erklärter Liebling einer vermögenden Brauereierbin. Gegen Zahlung eines Lösegeldes in nicht genannter Höhe tauchte der Schoßhund schließlich wieder auf, allerdings ohne das Hundehalsband mit den zehn lupenreinen Diamanten. Jack und Thomas hatten sich zwar verdächtig unauffällig in der Nähe des Tatorts herumgetrieben, eine Beteiligung an der schändlichen Tat hatte man ihnen aber nicht nachweisen können. Es war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass man sie unverrichteter Dinge wieder laufen lassen musste.
Fortan gaben sich die Brüder Keane nicht mehr mit Kleinigkeiten ab, die Objekte ihrer Begierde wurden zusehends größer. Computer und Fernseher verschwanden gleich palettenweise, in Liverpool löste sich ein ganzer Container mit Luxuskarossen ebenso in Luft auf wie eine Zwanzig-Meter-Yacht in einem Hafen bei Cork. Als auf der Toilette des Glasgower Flughafens ein Koffer mit einer millionenschweren Schmuckkollektion abhandenkam, standen auf der Passagierliste einer British Airways-Maschine James und Tony King. Man konnte den Keanes zwar nachweisen, dass sie zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort gewesen waren, aber das allein genügte nun mal nicht.
Ihr Spezialgebiet allerdings war die Kunst. Egal ob Neue Abstraktion oder Alte Meister, griechische Vasen oder drei Meter hohe Stahlskulpturen – die Brüder bewiesen einen erstaunlich treffsicheren Geschmack, was den gerade angesagten Trend auf dem internationalen Kunstmarkt anging. Ihren spektakulärsten Coup landeten sie in London, wo sie in einem Museum einen Wasserrohrbruch inszenierten, den Personal und Besucher zuerst für den Teil einer Videoinstallation hielten. Im anschließenden Durcheinander bemerkte niemand die beiden Handwerker in blauen Overalls, die vor aller Augen eine vollgekleckste Leinwand abtransportierten. Erst Stunden später stellte der Museumsdirektor fest, dass ein Jackson Pollock im Wert von zehn Millionen Pfund fehlte.
Die Keanes erwiesen sich als äußerst kreativ, nie schlugen sie an einer Stelle zweimal zu, und sie wechselten ihren Modus Operandi wie andere Leute ihre Socken. Die Papierstapel zwischen den Deckeln der Kriminalakte wuchsen. Stets führte die Spur nach Foley und stets endete sie an einer Mauer des Schweigens. Selbsternannte Experten waren sich sicher, die Brüder arbeiteten im Auftrag einer ominösen Unterweltsgröße. Bestellt, geklaut, geliefert. Ein anderes Gerücht hielt sich hartnäckig, das besagte, ihre Aktionen seien von der IRA gedeckt. Aber das war zu einer Zeit, als man die IRA für so ziemlich alles verantwortlich machte außer für das Wetter und die Börsenkurse.
Dagegen war die Polizei, die den Taten der Brüder von Beginn an macht- und ratlos gegenüberstand, überzeugt, dass die Keanes auf eigene Rechnung arbeiteten. Nichts wies auf die Existenz einer Bande hin, und so war es auch nur ein einziges Mal zu einer Anklage gekommen, als nämlich ein mutmaßlicher Komplize die beiden verpfiffen hatte. Der folgende Prozess in London war eine Farce, die Staatsanwaltschaft hilflos; die Alibis der zwei Brüder waren so unerschütterlich wie die Bank von England, die Entlastungszeugen zahlreicher als das Publikum im Gerichtssaal. Zum Leidwesen der Polizei feierte die Boulevardpresse Jack und Thomas wie Helden, sorgten sie doch für Auflagenzahlen, die sonst eher königlichen Skandalen vorbehalten waren.
Die Brüder Keane schienen unantastbar.
Bis vor zehn Jahren.
Es war nur eine kleine Notiz in der Lokalzeitung. Eine Meldung, die niemandem besonders ins Auge fiel. Ein Unfall, wie er sich fast täglich irgendwo auf dieser Welt ereignete. Ein Feuer auf einem Schiff vor der irischen Westküste. Zwei Seeleute gerettet. Einer vermisst. Erst später stellte sich heraus, der Vermisste war kein geringerer als Thomas Keane. Jüngerer Bruder von Jack Keane. Sechsundzwanzig Jahre alt. Sohn des Fine Gael -Abgeordneten Malcolm Keane. Gesuchter Verbrecher.
Zum Zeitpunkt dieser Erkenntnis war Jack Keane bereits wieder untergetaucht und niemand erfuhr, was
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