Die irische Meerjungfrau
erwiderte Ronan und knipste mit der Fernbedienung den Fernseher an, wo ein Nachrichtensprecher tonlos über die neusten Entwicklungen in Nahost berichtete.
»Sie gehen wandern?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie kam von der Frau neben ihm, einem burschikosen Typ Anfang vierzig mit kurzen blonden Haaren und wetterverwöhntem Gesicht. Nach den weißen Flusen auf ihrem navyblauen Armanipullover zu urteilen machte sie in Schafen.
»Meine große Leidenschaft.« O’Connors unerschöpfliches Warensortiment umfasste glücklicherweise auch Blasenpflaster. »Ich bin ein Stadtmensch und sitze den ganzen Tag am Schreibtisch. Wenn man dann mal rauskommt, sitzt man meistens im Auto. Obwohl ich ganz gerne durch die Gegend fahre.«
»Meiner fährt überhaupt nicht gerne Auto«, entgegnete sie gedankenverloren und nahm einen Schluck von ihrem Shandy, »ständig beschwert er sich über meinen Fahrstil und heult mir die Ohren voll. Neulich in der Kurve bei Gleann Geis hat er mir doch glatt den Wagen vollgekotzt.«
Fin fragte sich schon, ob die Lady einen großen schwarzen Geländewagen fuhr.
»George ist eben sehr sensibel, Moira«, meinte Ronan mitfühlend.
»Das kannst du laut sagen. Hättest ihn mal sehen sollen, als ich ihm gestern Abend sein Essen vorgesetzt hab. Ich hatte noch ’n halbes Karnickel vom Wochenende übrig, da hat er mich angeglotzt wie drei Tage Regenwetter. Aber damit kommt er bei mir nicht durch. Entweder das Karnickel oder gar nichts, was anderes gibts nicht.«
»George?« fragte Fin.
»Mein Hund.«
Fin spürte einen Luftzug im Nacken. Nora Nichols schob gerade ihre weiße Wallemähne zur Tür herein. Der Rettungsanker nahte in Form eines dampfenden Tellers, den Isobel im selben Moment über die Theke reichte. Fin schnappte sich sein Pint und den Teller und verzog sich in eine freie Nische am Fenster, ehe Nora ihn entdeckte.
Er stellte keine allzu großen Ansprüche an die heimische Küche, aber die Seafood Platte sah gut aus. Fisch, Garnelen und allerlei anderes Meeresgetier, dazu knusprige Kartoffeln und ein knackiger Salat, alles garniert mit frischen Kräutern. Fin war angenehm überrascht. Das Essen war ausgesprochen lecker, das Bier schmeckte gut, und der Fensterplatz bescherte ihm einen fast ungehinderten Blick die Straße hinunter auf den Hafen. In der Abenddämmerung sah der Pier nicht mehr ganz so desolat aus. Weit draußen über dem spiegelblanken Meer, dort wo das Tageslicht verschwunden war, leuchtete ein schmaler goldener Streifen über dem Horizont. Die Ruhe vor dem Sturm.
»Feenlicht.«
Das Aroma eines kochend heißen Fisherman’s Fellow wehte über den Tisch. Fin seufzte. Dabei hatte der Abend gerade so vielversprechend begonnen.
»Die Feen geben heute Nacht ein großes Fest.« Nora stand neben ihm, den Krug in der Hand, und starrte zum Fenster hinaus, als sähe sie die geladenen Gäste schon über den roten Teppich schweben.
»Sicher. Und alle Kobolde und Meerjungfrauen sind eingeladen.«
»Blödsinn«, blaffte sie.
»Wieso nicht?«, wollte Fin zwischen zwei Garnelen wissen.
»Weil die Feen niemals die Meerjungfrauen einladen würden.« Wenigstens machte sie keinerlei Anstalten, sich zu ihm an den Tisch zu setzen. »Nicht seit der Geschichte zwischen Maolmadhog MacGuire und –«
»Mad Dog MacGuire?«
»Maolmadhog MacGuire und Hugh Gomball.«
Schon wieder die Gomballs.
»Hugh Gomball hat sich nämlich bei den Meerjungfrauen ein Boot ausgeliehen und nicht wieder zurückgebracht«, erklärte Nora ungerührt, »so was sollte man tunlichst vermeiden, denn die Meermenschen sind sehr nachtragend. Nach fünfundvierzig Jahren haben sie schließlich Maolmadhog MacGuire losgeschickt, das Boot zurückzustehlen. Aber Maolmadhog MacGuire verliebte sich in Hugh Gomballs Tochter Ismenia, vergaß das Boot und brannte mit dem Mädchen durch. Das rief Hector und Valentine auf den Plan, die Brüder Ismenias, die sich wiederum an Maolmadhogs Stiefschwestern Onora, Vevina und Maelisa schadlos hielten. Stiefschwestern deshalb, weil ihr Vater Eunan O’Kelly mal was mit Morrin aus dem Geschlecht der O’Hallorans hatte, aber das durfte natürlich niemand wissen, weil die O’Hallorans und die O’Kellys seit etwa zweihundert Jahren im Streit lagen wegen der entführten Kuh, die Eunans Urururgroßvater Niall irrtümlich für seine gehalten hat, weil sie nun mal auf der Wiese graste, die seiner Mutter Duvessa gehörte …«
Fin brummte der Schädel.
»… die Kuh war
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