Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
Vom Netzwerk:
fallen.
    Seine Knie wurden weich. Haltsuchend griff er nach dem Bett, der Matratze, erwischte das Laken und zog es mit sich, als er unsanft auf dem Boden landete.
    Er betrachtete die bedruckten Seiten um sich herum, versuchte einzelne Worte aufzuschnappen, aber alles schien in einer ihm völlig fremden Sprache verfasst.
    Seine Kehle war trocken. Er hustete. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Musste sich zwingen. Er lehnte gegen die Bettkante, schloss die Augen und holte tief Luft. Versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
    Fälschungen, schoss es ihm durch den Kopf. Die einfachste aller Erklärungen. Wie immer sein erster Gedanke. Blödsinn! Kein Mensch auf der Welt war so bescheuert und fälschte ausgerechnet solche Unterlagen. Wozu?
    Nein, das, was da vor ihm lag, war echt und die einzig plausible Erklärung für das spurlose Verschwinden von Thomas Keane. Er hatte seinen Tod auf dem Schiff inszeniert, um letztendlich als Charlotte Quinn aufzutauchen.
    Und Fin war auf ihn reingefallen.
    Verdammt, er hätte es merken müssen!
    Ja, jetzt im Nachhinein hatte er gut fluchen. Da erschien plötzlich vieles in einem anderen Licht. Angefangen bei ihrem Äußeren. Wenn er sich die rote Haarfarbe wegdachte und die grünen Kontaktlinsen, dann sah er Thomas Keane vor sich, wie er neben seinem großen Bruder vor dem Gerichtsgebäude stand. Sogar die Geste, mit der er sich die Haare aus dem Gesicht strich, stimmte. Kein Wunder, dass Charlotte ihm von Anfang an so vertraut erschienen war.
    Jetzt begriff er, warum sie nicht gewollt hatte, dass er sie nackt sah. Vielleicht war ihr Körper doch nicht so vollkommen, nicht so weiblich wie Thomas Keane es sich durch die Hilfe von Skalpell und Hormonen erhofft hatte. Wobei er sich widerstrebend eingestehen musste, dass seinen Händen in der Dunkelheit nichts aufgefallen war, was da nicht hingehörte. Andererseits, beide Male war Alkohol im Spiel gewesen, wahrscheinlich hatte er deshalb nichts gemerkt …
    Und dann die Kraft, die Leichtigkeit, mit der sie Dinge tat, die einer Frau normalerweise eher schwerfielen. Was hatte Brian von der Tankstelle ihm über Thomas’ Ferienjob erzählt? Der Junge war ganz verrückt gewesen nach Motoren. Manche Dinge ließen sich wohl nicht so einfach wegoperieren.
    Und der Motorradunfall? War wenigstens diese Geschichte wahr oder auch nur eine faustdicke Lüge? Was war wirklich in der Spritze drin? War sie am Ende doch ein Junkie?
    War sie – war er …
    Fin war völlig verwirrt. Er war nicht in der Lage, die beiden Personen voneinander zu trennen. Sein Unterbewusstsein gaukelte ihm Charlotte vor, wo seine Vernunft ihn überzeugen wollte, Thomas vor sich zu haben.
    Fin schüttelte den Kopf. Er wollte es nicht glauben. Da hatte er nach Thomas Keane gesucht und war ihm jeden Tag näher gewesen als jedem anderen Menschen, und er hatte es nicht bemerkt. Was war er bloß für ein Idiot gewesen! Es war ein und dieselbe Person. Thomas Keane, der gesuchte Gangster. Charlotte Quinn, seine Meerjungfrau. Es war nicht zu fassen! Ausgerechnet ihm musste das passieren! Konnte eine Frau nicht von einem Kerl unterscheiden! Es war zum Kotzen! Nicht nur, dass man ihn reingelegt hatte, nein, allein die Vorstellung, mit einem Mann Sex …
    Sein Magen rebellierte. Sein ganzer Körper rebellierte. Sein Atem flatterte unkontrolliert. Er wollte aufstehen, aber seine Beine schienen am Boden festgewachsen.
    Es war noch immer still im Haus. Irgendwo knackte ein Holzbalken. Er sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Als ob das irgendetwas änderte. Was sollte er jetzt tun? Er konnte nicht ewig hier rumsitzen. Er musste den Van Gogh nach London schaffen. Und Superintendent Ramsay eine Geschichte erzählen, die nicht mal er selber glauben würde. Vielleicht war es einfacher, wenn er die pikanten Details unter den Tisch fallen ließ. Und dann, dann würde die übliche Maschinerie anlaufen und mit Unterstützung der irischen Polizei konnte man Jack und Thomas festnehmen. Oder Jack und Charlotte …
    Er hatte das Motorrad nicht kommen gehört. Plötzlich stand sie in der Tür zum Schlafzimmer, den Helm noch in der Hand. Motorradstiefel, Blue Jeans, auf der schwarzen Lederjacke glitzerten Regentropfen. Sie starrte auf ihn herab, ihre Gesichtszüge unbewegt und doch sprachen sie Bände. Es war nicht schwer zu erraten, was er gefunden hatte.
    Fin hielt ihrem Blick stand. Er hatte das seltsame Gefühl, dass die Temperatur im Raum binnen Sekunden um einige Grade gesunken war, und das lag nicht

Weitere Kostenlose Bücher