Die irische Meerjungfrau
hatte.
Was würde ihm, Fin, dieser Fund bringen? Außer fünf Minuten Ruhm in den Abendnachrichten und sein Name in der Zeitung. War er bereit, den Preis zu bezahlen?
Wenn er mit dem Van Gogh unter dem Arm in Dublin auftauchte, konnte nicht mal Superintendent Ramsay seine Leistungen ignorieren. Die Beförderung war sicher. Vielleicht ein neues Büro. Wahrscheinlich gab es sogar eine Belohnung, der Van Gogh war bestimmt gut versichert. Und in den Augen seiner Tochter würde er ein Held sein. Wichtiger als Andy oder Gaylord.
Aber ebenso gut konnte er das Gemälde wieder an seinen Platz hängen, verschwinden und den Dingen ihren Lauf lassen.
Keiner erwartete von ihm, dass er den Fall löste.
War Charlotte es wert, sein halbes bisheriges Leben und vermutlich seine komplette Zukunft über den Haufen zu werfen? Dazu musste er erst mal wissen, wer Charlotte Quinn wirklich war.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Er stellte das gesamte Büro auf den Kopf, spähte hinter spinnwebenverhangene Regale, öffnete sämtliche Schubladen, aber außer vergilbten, von Mäusen angefressenen Akten aus dem vergangenen Jahrhundert und einem zerfledderten Lexikon über Seevögel förderte er nichts zutage.
Fin nahm den Van Gogh, stellte ihn im Flur ab und ging hinüber ins Wohnzimmer. Unter diesen neuen Gesichtspunkten konnte vielleicht das Bücherregal Aufschluss geben. Ein beiläufig vermerkter Name in einem Buchdeckel, eine Postkarte als Lesezeichen, aber alles, was ihm entgegenfiel, war eine alte, ausgefranste Zeichnung, ein von Kinderhand durchgepauster und mit Buntstiften ausgemalter Cartoon. Charlie Brown und sein Beagle Snoopy.
Er steckte das Papier wieder ins Buch zurück.
Die Küche? Nein, dort kannte er jeden Winkel. Der einzige Raum, den er am Morgen nicht durchsucht hatte, war das Schlafzimmer.
Er knipste das Licht an. Das Zimmer lag auf der dem Meer zugewandten Seite des Hauses, trotzdem zog er vorsichtshalber die Vorhänge zu. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, dass alles so unordentlich gewesen war. Aber in der vergangenen Nacht hatte er wohl anderes im Kopf gehabt als Charlottes Qualitäten als Hausfrau.
Kleidungsstücke waren achtlos über einen plüschigen Sessel geworfen, schmutzige Jeans, ein Pullover, ein Paar Gummistiefel lagen in einer Ecke. Das Bett war ungemacht. Ein weißes Hemd mit langen Ärmeln lag auf dem zerknautschten Kopfkissen.
Fin setzte sich auf die Matratze und zog die Schublade des kleinen Nachtschränkchens auf. Frauenkram kam zum Vorschein, ein Lippenstift, ein paar winzige Ohrringe, eine Handcreme, eine Nagelfeile, Papiertaschentücher. Eine Flasche von Charlottes Medizin, neu und noch versiegelt, aber keine weiteren Vorräte – was ihn irgendwie beruhigte.
Aus dem hintersten Winkel förderte er einen dicken Briefumschlag ans Licht. Das versprach interessant zu werden. Der Umschlag enthielt Fotos, und das erste, das ihm zwischen die Finger geriet, zeigte einen kleinen Jungen in einem Garten, der einen Beagle auf dem Arm hielt. Dasselbe Foto, das er bei Malcolm Keane auf dem Kaminsims gesehen hatte.
Die Peanuts . Er dachte an die Kinderzeichnung in dem Buch. Vielleicht eine Liebesgabe an die heimliche Schulfreundin?
Charlotte musste die Keane-Brüder gut kennen, besser als sie es ihm gegenüber zugegeben hatte, und das vermutlich schon von Kindesbeinen an. Und je weiter er durch den Stapel Fotos blätterte, desto überzeugter war Fin, dass Jack Keane der ominöse Märchenprinz war. Keiner, der auf einem weißen Ross daherkam – so eins hatte sie schließlich selber, nein, dieser hier fuhr in einem schwarzen Geländewagen vor.
Die meisten Aufnahmen zeigten Jack und Thomas neben anderen Gesichtern, die er nicht kannte. Jack und Thomas auf ihrem Kutter. Jack und Thomas in London, Faxen machend wie ganz gewöhnliche Touristen – aber nicht vor der Tower Bridge, sondern vor der Zentrale von Scotland Yard. Jack und Thomas auf schweren Motorrädern, offensichtlich irgendwo in Amerika.
Ihm fiel auf, dass die Fotos ausnahmslos älteren Datums waren. Keines jünger als zehn Jahre. Vielleicht steckte in der ganzen vertrackten Geschichte ja doch ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht war Thomas Keane wirklich vor zehn Jahren auf dem Kutter ums Leben gekommen. Die einfachste Erklärung, warum es tatsächlich keine neuen Bilder von ihm gab.
Er legte den Briefumschlag wieder zurück in die Schublade. Eines verstand er allerdings nicht. Wenn seine Meerjungfrau schon einen Märchenprinzen
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