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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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an der Kälte, die sie von draußen mit hereingebracht hatte.
    Unendlich langsam, als müsste er seinen Körper erst überreden, kam er auf die Füße, schwankte und fand sein Gleichgewicht. Keiner sagte ein Wort. Sie taxierten sich gegenseitig, schlichen umeinander herum wie zwei Degenfechter, die darauf warteten, dass der andere das Duell eröffnete.
    Fin schluckte trocken. »Ich … ich wusste, dass du … dass du irgendwie anders bist als andere … Aber nicht, dass du so anders bist.« Seine Stimme war rau, fast tonlos.
    Sie ließ es kommentarlos im Raum stehen. Sah ihn nur an, wartete ab, was er noch in den Ring werfen würde. Er spürte, wie allmählich die Fassungslosigkeit wich und seiner aufkommenden Wut Platz machte.
    »Und ich falle auf nen Kerl rein!«
    »Ich bin kein Kerl! Ich bin eine Frau!«, fauchte sie.
    »Eine, die die Ärzte zusammengebastelt haben«, spuckte er aus, »Frankensteins Braut.« Er wusste, er war geschmacklos, aber er konnte nicht anders.
    Sie verkniff sich eine passende Reaktion. Versuchte ruhig zu bleiben, auch wenn es schwerfiel. »Wenn es so einfach wäre …«
    Nein, einfach war es bestimmt nicht gewesen, das konnte sogar Fin sich vorstellen. Nicht so einfach wie es der lapidare Wortlaut auf all diesen Papieren erscheinen ließ. »Immerhin hast du eine Weile gebraucht, um von einem schwulen Kerl –«
    »Ich bin nicht schwul!« Sie pfefferte den Motorradhelm auf den Boden, dass Fin zusammenzuckte. »Schwule sind Männer in Männerkörpern, die Männer mögen! Das bin ich nicht! Bin ich nie gewesen! Ich war eine Frau in einem Männerkörper – jetzt bin ich eine Frau in einem Frauenkörper! Das ist was ganz anderes!«
    »Glaub doch, was du willst!« Fin schnaubte verächtlich. »Aber so leicht wirst du den Kerl in dir nicht loswerden!«
    »Welchen Kerl? Da war nie einer!«, reagierte sie gereizt. Das Grün ihrer Augen war hell, sprühte wie ein bengalisches Feuer. »Was würdest du am Liebsten hören? Dass ich als kleiner Junge mit Puppen statt mit Autos gespielt habe? Dass ich heimlich die Kleider meiner Mutter angezogen habe?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Fin wich zurück. »Meine Mutter starb, als ich neun war. Und Puppen hat es bei uns zu Hause keine gegeben. Ich bin mit meinem Bruder auf Bäume geklettert, hab Fußball gespielt und die Scheiben von Nachbars Gewächshaus eingeworfen. Ich war ein Junge wie jeder andere auch! Trotzdem war …« Sie hielt inne, suchte die passenden Worte, um das zu beschreiben, was für alle Beteiligten so schwer zu begreifen war. »… trotzdem hat etwas nicht gestimmt.«
    »Das kannst du laut sagen …«
    Sie ließ resigniert die Schultern hängen. »Ich habe nie wie ein Junge … oder wie ein Mann gefühlt. Ich habe mich nie für Mädchen interessiert. Schon in der Schule waren sie mir gleichgültig. Ich dachte mir, das kommt schon noch. Jack meinte, ich sei eben ein Spätzünder. Aber ich hab mich von Tag zu Tag in meinem eigenen Körper immer mieser gefühlt. Ich wollts nicht wahrhaben, habs ignoriert, hab versucht, mich wie ein Junge zu benehmen. Hab mich für Dinge interessiert, für die sich Jungs normalerweise interessieren. Fußball, Autos, Motorräder. Aber es änderte sich nichts. Ich bin auf die Uni gegangen, hab mich aufs Kunststudium gestürzt, aber das war bloß Ablenkung. Beim Aktzeichnen hab ich meine Mitstudentinnen beneidet um den Körper, den ich gerne gehabt hätte …«
    Die Worte sprudelten aus ihr heraus, als hätte jemand einen Staudamm geöffnet, wollten Fin von etwas überzeugen, was er gar nicht hören wollte. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als könnte er so verhindern, dass ihre Worte den Weg an sein Ohr fanden.
    »Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man es hasst, sich morgens rasieren zu müssen? Jeden Morgen diese verfluchten Bartstoppeln im Gesicht ertragen zu müssen!«
    Fin wollte es sich gar nicht vorstellen. »Das hat dich aber nicht davon abgehalten, mit deinem sauberen Bruder ein Ding nach dem anderen zu drehen.«
    »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Überhaupt, was hätte ich ihm sagen sollen? Es hat verdammt lange gedauert, bi… bis ich selber gemerkt habe, dass … dass ich ei… einfach … im … im falschen Körper gesteckt habe.« Sie begann zu stottern, redete schneller, wollte ihm in Minuten etwas begreiflich machen, wozu sie selber Jahre gebraucht hatte, um es zu verstehen. »Da hatte ich da… das Studium längst geschmissen. Steckte

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