Die irische Meerjungfrau
lassen wie einen Dorftrottel. Wahrscheinlich hatte sie vom ersten Tag an über ihn Bescheid gewusst, hatte gewusst, dass er Polizist war, hatte sich zusammen mit ihrem feinen Bruder Jack totgelacht. Mit seinem Bruder. Ach, was solls. Abgehakt.
Er sprang in seinen Wagen und ließ den Motor an. Setzte ein Stück zurück. Etwas fiel mit einem dumpfen Plumps von der Rückbank. O’Connors Sonderangebot. Genau das, was er jetzt brauchte. Ohne Zögern angelte er nach der Flasche, zog den Korken ab und nahm einen langen Zug. Der Whisky brannte in seiner trockenen Kehle. Nein, die Welt sah danach nicht rosiger aus, aber der Alkohol hatte eine überaus angenehme Wirkung auf Schmerzen aller Art. Zumindest für Fin.
Er verkorkte die Flasche wieder und warf sie auf den Beifahrersitz. Dann bugsierte er den Wagen auf den Feldweg und trieb ihn den Hügel hinab. Der Ritt endete hart auf dem Asphalt der Landstraße. Fin schlug das Steuer ein, die Richtung war ihm egal. Bloß weg von hier.
Er fuhr ziellos durch die Nacht. Fort von hier. Fort von dieser Insel. Am besten fort aus diesem Leben. Er nahm hier eine Abzweigung, dort einen Feldweg. Und wunderte sich, dass es auf dieser Halbinsel so viele Straßen gab. Wahrscheinlich fuhr er ständig im Kreis, ohne es zu merken.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Natürlich konnte er das Auto durch die Landschaft prügeln, bis kein Benzin mehr im Tank war. Das war naheliegend, eventuell sogar befriedigend, aber doch nur die zweitbeste aller Lösungen.
In gleichmäßigen Intervallen schoben die Wischblätter die Regentropfen von der Scheibe. Es hatte eine ungemein beruhigende Wirkung. Einzig das penetrante Geknatter auf der Beifahrerseite ging ihm auf den Geist. Er beugte sich kurzerhand rüber und riss mit einem Ruck die Folie von der Tür. Kalte feuchte Luft strömte in den Wagen, aber das war ihm jetzt auch egal. Er schraubte die Heizung auf volle Leistung.
Er hätte damit leben können, wenn sie in den Kunstdiebstahl verwickelt gewesen wäre. Wenn sie nur den Van Gogh geklaut hätte. Sogar den toten Wachmann hätte er in Kauf genommen. Irgendwie hätte er damit umgehen können. Aber nicht mit so was.
Er nahm noch einen Schluck Whisky. Feuerte den Korken durchs offene Seitenfenster und klemmte sich die Flasche zwischen die Beine. Vielleicht hatte Charlotte recht, vielleicht wurde die Welt tatsächlich besser, wenn man sie sich schönsoff. Den Versuch wars allemal wert.
Charlotte war ein Kerl! Er konnte sich immer noch nicht beruhigen. Er war auf einen Kerl reingefallen! War er tatsächlich so verdammt triebgesteuert, dass er es nicht gemerkt hatte?
Verflucht, er war Polizist! Er hatte gelernt, eins und eins zusammenzuzählen, klare harte Fakten zu analysieren. Hatte sie ihm nicht sogar selber auf den Kopf zugesagt, jemand anderes sein zu wollen? Aber nein, er hatte sie nicht sehen wollen, die Wahrheit, wie sie auf ihn zugeschossen kam wie eine neongelbe Frisbeescheibe. Er hätte nur danach greifen müssen. Stattdessen hatte er sich rechtzeitig geduckt.
War er zu besoffen gewesen? Konnte man das als Entschuldigung gelten lassen? Oder war die Täuschung tatsächlich so perfekt gewesen?
Er schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. Was hatte er sich nicht alles für Erklärungen zusammengebastelt. Einen prügelnden Ehemann. Ein Zeugenschutzprogramm. Sie hatte ihn nach Strich und Faden verarscht. Genau wie alle anderen. Nein, schlimmer noch. Ihr falsches Spiel kam einem Verrat gleich.
Er setzte die Flasche an die Lippen und trank beinahe schon gierig. Trat abrupt auf die Bremse. Verschluckte sich fast. War das da eben ein Schaf gewesen vor seiner Kühlerhaube? Er schaute nach rechts und links, aber da war nichts. Kein Wollknäuel weit und breit. Nicht mal ein Kobold. Dabei hätte er schwören wollen …
Er nahm noch einen Schluck auf den Schreck. Stellte den Motor ab und zog den Zündschlüssel. Fahren und gleichzeitig saufen ging selten gut. So viel Vernunft musste sein. Er stieg aus, nahm den Whisky und ließ den Wagen mitten auf der Straße stehen.
Der Regen hatte aufgehört. Er stapfte eine Weile die Straße entlang, nahm gelegentlich einen Schluck aus der Flasche und fragte sich lediglich, ob er sich von Foley entfernte oder geradewegs aufs Dorf zu lief. Als er auf eine Steinmauer stieß, beschloss er, seinen Frieden in der Landschaft zu suchen und folgte ihr kurzentschlossen den Hügel hinauf in die Dunkelheit. Unsicher trottete er durch das unwegsame Gelände,
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