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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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Schwankte.
    »Quatsch! Der is schon seit Jahren demonstriert!«, widersprach Nora.
    Aber Fin war sich sicher. Er beobachtete den Widerschein, wartete bis er verlosch, zählte fünf Sekunden bis zu seiner Wiederkehr, nochmal drei Sekunden Dunkelheit und wieder fünf bis zum nächsten Lichtblitz.
    »Verdammt, es ist der Leuchtturm!«
    Im bleichen Dunst, den der Wind vom Meer hereinschob, hatte er fast so was wie einen Heiligenschein. Wie Jesus in der Krippe. Die einzige Lichtquelle weit und breit.

20. Jack
    Vincent Van Gogh war dabei, das Land zu verlassen. Das wiedererweckte Leuchtfeuer konnte nur bedeuten, dass die Übergabe des Gemäldes unmittelbar bevorstand. Dicke fette Wolken überzogen den Nachthimmel, dünne Nebelschleier wanderten die Küste entlang. Ideale Voraussetzungen für ein heimliches Treffen auf hoher See.
    Der Van Gogh würde wieder in der Versenkung verschwinden, aus der man ihn gerade erst hervorgeholt hatte, würde aus seinem Leben verschwinden und mit ihm die Chance, doch noch ein Held zu werden.
    Ohne eine weitere Erklärung, dafür aber mit einer halben Flasche Whisky versorgt, ließ er Nora zurück und stolperte den Hügel hinunter. Trotz des nicht unerheblichen Anteils an Alkohol in seinem Blut funktionierten seine Beine, trugen ihn im Zickzack über die Wiese bergab bis er den harten Asphalt der Straße unter sich spürte. Und jetzt? Rechts? Links? Verflucht, wo hatte er sein Auto gelassen? Er drehte sich einmal um die eigene Achse, torkelte, schnaufte. Er war versucht, in Richtung Leuchtturm zu laufen, aber das erschien ihm zu naheliegend, zu einfach. Ein wahrer Held traf in einer solchen Situation intuitiv immer die richtige Entscheidung, aber er war kein Held. Noch nicht. Verdammt, der Van Gogh würde ihm durch die Lappen gehen, weil er sich nicht zwischen rechts und links entscheiden konnte! Er atmete ein paar Mal tief ein, presste Sauerstoff in seine Lungen, in der Hoffnung, seinen grauen Zellen auf die Sprünge zu helfen, stieß einen erbosten Schrei aus. Und wählte den Weg zurück nach Foley.
    Er spürte die Kälte der Nacht kaum. Während er über die nasse Straße trabte und vereisten Pfützen auswich, wurde ihm warm. Die wetterfeste Wachsjacke drückte schwer auf seine Schultern. Durch seine Adern rauschte eine Whisky-Blut-Mischung, aber Doping fühlte sich anders an. Er hatte null Kondition. Aber sein gerade noch schmerzlich vermisster Überlebenswille scheuchte ihn vorwärts.
    Über dem Hügel kratzten die ersten Vorboten des Morgens am östlichen Himmel. Vielleicht war es auch nur ein Wunschgedanke, während das Meer kalt und düster wie ein Grab zu seiner Rechten lag. Immer wieder schaute er sich um. Ja, das Leuchtsignal war noch da.
    Vor ihm tauchte ein Hindernis auf der Straße auf. Sein Wagen. Offen und unangetastet. Er fragte nicht lange, welcher gnädigen Fügung des Schicksals er das zu verdanken hatte, sondern sprang hinein. Der Sitz war kalt und feucht. Er verschnaufte ein paar Sekunden, bis die Sternchen vor seinen Augen verblassten, dann rammte er den Schlüssel ins Schloss und gab Gas. Er schaltete das Fernlicht ein, bereit, jedes unvorsichtige Schaf erbarmungslos von der Straße zu schießen. Die Gangster sollten ruhig wissen, dass er kam. Es war kaum anzunehmen, dass er ihnen Angst einjagen oder sie gar aufhalten konnte, aber schließlich wussten sie ja nicht, dass er ganz auf sich allein gestellt war. Wussten nicht, dass er keinen Plan hatte. Wussten nicht, dass er nicht mal eine Waffe hatte. Aber dieses Mal würde er nicht kneifen. Nicht klein beigeben. Keine Ausreden gelten lassen. Er würde es durchziehen bis zum Ende.
    Der Nebel wurde dichter je näher er dem Kap kam. Er war dankbar für das Leuchtsignal, das ihm als Orientierung diente. Kurz vor der Insel bog er von der Straße ab. Er hatte erwartet, den schwarzen Geländewagen an der Zufahrt zum Damm zu sehen, aber der Platz war leer.
    Er suchte den Damm. Es war neblig, es war dunkel, alles war voller Wasser. Da vorne war die Zufahrt, überspült von flachen Wellen. Der Wasserstand konnte noch nicht hoch sein, er schätzte ihn auf höchstens eine Handbreit oder zwei. Das musste zu schaffen sein, wenn er sich beeilte. Zeit zum Überlegen hatte er eh keine, also gab er Gas und fuhr los. Die Reifen platschten ins Wasser, pflügten im Schritttempo durch die Wellen. Fins Herz klopfte. Im Scheinwerferlicht konnte er den Weg bestenfalls erahnen. Er hatte mehr als die Hälfte des Damms hinter sich gebracht,

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